Ich hatte über mehr als fünfundzwanzig Jahre die Chance, das Leben und Sterben
in einer Primatenstation begleitend beobachten zu dürfen. Über die dabei
gewonnenen Erkenntnisse soll hier ausführlich berichtet werden. Wesentlicher
Gesamteindruck war über die Jahre, dass die Affen nicht besser (aber auch
nicht schlechter) als die Menschen sind. Somit drängte sich der Titel „Auch
Affen sind nur Menschen“ geradezu als Arbeitstitel auf. Ich wurde einmal
in einer Talkshow gefragt, ob das hieße, auch Affen wären böse. Dies habe
ich ausdrücklich verneint. Das Ausleben des arteigenen Verhaltens kann nur
dann als böse bezeichnet werden, wenn es Gesetze gibt, die das Verhalten
verbieten. Man mag unsere Ergebnisse als Gefangenschaftsbeiprodukte abtun.
Es bleiben immerhin vergleichende Beobachtungen unter restriktiven - aber
konstanten - Bedingungen in Menschenobhut, unter denen diese oder jene
bemerkenswerten Unterschiede zwischen verschiedenen Arten erst aufzeigbar sind.
Unterschiedliche ökologische Bedingungen, die für Unterschiede im Verhalten
verantwortlich gemacht werden mögen, entfallen als Parameter des zu beobachtenden
unterschiedlichen Verhaltens. Besonders wichtig erscheinen aber auch die von
Art zu Art mehr oder weniger deutlichen individuellen Unterschiede der
beobachteten Tiere. Insofern berichte ich auch über bestimmte nichtmenschliche
Persönlichkeiten, die meine Freundinnen und Freunde gewesen sind. Um - wie
bereits oben - erneut Missverständnissen vorzubeugen, sei noch betont, der
Titel ist nicht im Sinne der zoologischen Systematik gemeint, Affen sind keine
Menschen.
Die Affen, Simiae, sind eine Unterordnung der Ordnung Herrentiere, der Primates,
neben den Affen gehören zu dieser Ordnung die Halbaffen, Prosimiae. Prosimiae
und Simiae repräsentieren unterschiedliche Evolutionsniveaus. Halbaffen sind
ursprünglicher als Affen, die auch Echte Affen genannt werden. Innerhalb der
Halbaffen können wir Tiere mit einer feuchten Verbindung zwischen Nase und
Oberlippe und die Koboldmakis (Genus Tarsius), denen – wie bei den simischen
Primaten – diese Verbindung, das Rhinarium, fehlt, unterscheiden. In der zoologischen
Systematik wird daher in der Ordo Primates auch zwischen den Subordines
Strepsirrhini (mit Rhinarium) und Haplorrhini (ohne Rhinarium) differenziert. Ein
weiteres Merkmal, nach dem man strepsirrhine und haplorrhine Primaten
unterscheiden kann, ist das Vorhandensein oder das Fehlen des Tapetum lucidum. Das
Tapetum lucidum ist eine reflektierende Schicht im Augenhintergrund, die wohl
beim Dämmerungssehen die Lichtausbeute erhöht. Sowohl tagaktive als auch
nachtaktive strepsirrhine Primaten besitzen ein Tapetum lucidum, das haplorrhinen
Primaten fehlt. Leider sind beide Merkmale bei fossilen Primaten nicht mehr
nachweisbar, was die systematische Einordnung fossiler Primaten erschwert. Für
beide Unterordnungen der Primates gibt es keine einleuchtenden deutschen
Namen.2
Doch kann man sich leicht merken, Strepsirrhini sind Prosimiae ohne Tarsius
(Strepsirrhini = Prosimiae - Tarsius) und Haplorrhini sind Simiae und Tarsius
(Haplorrhini = Simiae + Tarsius).
In der Regel werden lateinische Gattungssnamen und Artnamen kursiv geschrieben.
Wir Menschen, die auch Vertreter der Echten Affen sind, gehören der Gattung
Homo3
und der Art Homo sapiens an. Ist man der Meinung, dass der Neanderthaler auch zu
den Menschen gehört, würde der Unterart Homo sapiens neanderthaliensis
unsere Unterart Homo sapiens sapiens, der doppeltweise Mensch sozusagen,
gegenübergestellt. Da man innerhalb der Menschen zwischen den fossilen
und den heutigen Menschen unterscheidet, heißen jene korrekt Homo sapiens
sapiens fossilis und diese Homo sapiens sapiens recens. Daraus ergibt sich die
Schlussfolgerung, dass eigentlich die Bezeichnung eines Mitmenschen als Affe
(besser Echter Affe) oder als Homo nicht als Beleidigung angesehen werden
kann.
Es ist ein Ziel dieses Buches auf die Mannigfaltigkeit der Primaten hinzuweisen und
der falschen Annahme entgegenzutreten, Affe sei gleich Affe. Dazu muss man auch
verstehen, wie es zur Mannigfaltigkeit kommt. Daher ist den Berichten über meine
Erfahrungen mit einzelnen Arten eine Übersicht über Evolution (Kapitel 2)
vorangestellt. Ich möchte möglichst verständlich darstellen, wie man sich Evolution
überhaupt vorstellen kann. Ich grenze Evolution von Schöpfung ab und werde belegen,
dass stets mehr Nachkommen „produziert“ werden als rechnerisch benötigt
werden, was zwangsläufig Selektion (Reduktion der Individuenzahl durch
natürliche Auslese) bedingt. Ich berichte über Mimese und Mimikry und werde
aufzeigen, dass es Signalfälschung überhaupt nicht gibt. Bei dem Nachdenken über
ökologische Nischen wird auch einsichtig werden, wie das vermeintliche Problem
„Juchtenkäfer“ (Kapitel 2) leicht erklärbar und eigentlich erwartbar wird.
Schließlich werde ich nachvollziehbar machen, wie man sich Unterartenbildung
und Artenbildung vorstellen kann. Dabei muss ich auch auf Ergebnisse und
Erkenntnisse anderer Autoren zurückgreifen. Das folgende Kapitel wäre ohne deren
Leistungen nicht denkbar. Daher sei diesen Anderen bereits in der Einleitung
gedankt.
1Um Missverständnissen bereits in der Einleitung vorzubeugen, möchte ich betonen, dass die Bezeichnung „großer Verhaltensforscher“ keine Ironie sondern ernst gemeint ist. Ohne die theoretischen Konzepte von Lorenz wäre die Verhaltensforschung ärmer.
2Bezeichnungen wie Trockennasenaffen (für die Haplorrhini) und Feuchtnasenaffen (für die Strepsirrhini) halte ich für missglückt.
3homo, hominis sind jeweils der Nominativ und der Genitiv für Mensch im Lateinischen