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Die Kapuzineraffenkolonie der Universität Kassel

13.1 Einführung und angeborenes Verhalten

Die bisher in diesem Buch besprochenen Affenarten waren nicht meine „Wunschaffen“, vielmehr habe ich mit und an diesen nur gearbeitet, weil sie in der von mir betreuten Primatenstation vorhanden waren. Ganz anders war die Wahl der Kapuzineraffen als Versuchsobjekte.
Kapuziner1 waren schon früh als Leierkastenaffen und als Versuchstiere für verschiedenste Lernexperimente den Europäern vertraut. Um so mehr erstaunt es, dass in den letzten Jahrzehnten an Kapuzinern so gut wie überhaupt nicht gearbeitet wurde, galten doch gerade Vertreter dieser Species als besonders lernwillig und intelligent. „Modeaffen“ der Wissenschaft waren vielmehr der Rhesusaffe Macaca mulatta und in den letzten Jahrzehnten der Totenkopfaffe Saimiri sciureus. Mein Doktorvater Heinrich Sprankel berichtete in seinen Vorlesungen zur Primatologie über die erstaunlichen Leistungen der Kapuzineraffen und stellte uns Ergebnisse vor, die Angela Nolte 1958 ([149]) publiziert hatte (über das Instinktverhalten der Kapuzineraffen). Er schloss seinen Bericht mit der Aussage: „Irgendeiner müsste einmal Kapuzineraffen genauer untersuchen.“ Diese Aufforderung nahm ich an und etablierte in Kassel eine Kolonie des Gehaubten Kapuzineraffen Cebus apella. Über die Schwierigkeiten und Erfolge werde ich in diesem Kapitel berichten.
Kapuzineraffen sind zu ihrem Namen gekommen, da Carl von Linné bei der Erstbeschreibung eines Weißschulteraffens Cebus capucinus Ähnlichkeiten mit einem Kapuzinermönch erkannt haben wollte (nach der Haartracht). Unsere Kapuzineraffen haben zusätzlich eine auffällige Haartracht, die man als Haube ansprechen mag. Während der Weißschulteraffe seinen Namen behalten hat, haben unsere Kapuzineraffen ihren wissenschaftlichen Namen verloren. Die größeren Kapuzineraffen werden in der neuesten Systematik ([141]) einer eigenen Gattung Sapajus zugeordnet mit einer Vielzahl verschiedener Arten, so dass meine Kapuzineraffen heute nicht mehr Cebus apella sind. In diesem Beitrag behalte ich aber den alten Namen bei, da ich mit diesem zahlreiche Arbeiten veröffentlicht habe und durch einen neuen Namen meine eigenen Beiträge „abwerten“ würde. Ich gebe aber die jeweils heute gültigen Namen an, so dass meine Leser sich orientieren können.
Bevor ich mit meinem Bericht beginne, möchte ich einige der von Angela Nolte erkannten angeborenen Verhaltensweisen der Kapuzineraffen vorstellen. Zum Aussaugen von Früchten führte sie aus: „Der Kopf wird dabei weit nach hinten gelegt, und die Früchte werden zwischen Zunge und Gaumen, der mit starken Querleisten versehen ist, ausgedrückt. Die Schalen, Fruchtfleischreste oder Kerne spucken die Affen aus“ ([149], Seite 185). Erstmals beschrieb Nolte das Tischchenmachen: „Diese Verhaltensweise tritt besonders regelmässig beim Fressen von Körnern auf. Die Affen nehmen gern den Mund voll Körner, spucken den Inhalt auf die eng nebeneinander gelegten Unterarme und fressen die Körner nacheinander ab. Mit dieser Tischchen-Reaktion fangen sie auch die bei ihrem recht hastigen Fressen herunterfallenden Futterbrocken auf. ... Das Tischchenmachen ist meines Erachtens nach eine angeborene Verhaltensweise der Kapuziner, die in der freien Natur von grosser Bedeutung sein kann, da die Affen sich vorwiegend in den Kronen hoher Bäume aufhalten und nur selten am Boden fressend beobachtet wurden“ ([149], Seite 185). Auch das Einreiben mit Zwiebeln wird von ihr besprochen: „Gibt man einem Kapuziner eine Zwiebel, so beisst er hinein, zwinkert mit den Augen, legt sich häufig auf eine Seite und reibt mit den Händen, in denen er ein Stück Zwiebel hält (oder die nach Zwiebeln riechen), über den Kopf, über den hinteren Rückenabschnitt bis zur Schwanzwurzel, mit den Füssen über das Fell des Nackens und der dorsalen Seite der Oberarme. Die Reihenfolge der Arm- und Beinbewegungen ist variabel. ... Man hat durchaus den Eindruck, als bereite den Affen dieses Einreiben grosses Behagen“ ([149], Seite 193). Bei dem Hämmern (der Hämmerer des Waldes) war Nolte sich noch nicht sicher bei der Bewertung: „Ob hier eine angeborene Reaktion, ein Lernen durch Erfahrung oder ein einsichtiges Handeln vorliegt, ist bisher nicht eindeutig entschieden worden“ ([149], Seite 190). Nolte diskutiert auch den Werkzeuggebrauch. Zu beiden Fähigkeiten der Kapuzineraffen, das Aufhämmern von Nahrung und den Werkzeuggebrauch, werde ich noch eigene Ergebnisse berichten.2
Ich konnte diese angeborenen Verhaltensweisen der Kapuzineraffen täglich in meiner Kolonie beobachten, habe diese aber nicht hinreichend dokumentieren können. Dies habe ich nun an Enkeln und Urenkeln meiner Kapuzineraffen im Zoo Augsburg3 für diesen Beitrag nachgeliefert.



Abbildung 13.1: Die Pionierin der Kapuzineraffenforschung Angela Nolte bei einem gemeinsamen Besuch im Nürnberger Zoo


Freilich sind weder die Beobachtungen in Kassel noch in Augsburg Beobachtungen im natürlichen Lebensraum. Diese sind nur schwer zu erbringen. In erreichbaren Gebieten (Vorhandensein einer Straße) sind Kapuzineraffen ausgerottet, in Südamerka gibt es keinen Jagdherren, der die Jagd als sein Privileg betrachtet, insofern sind Kapuzineraffen billige Nahrungsmittel. Jungtiere werden von den Kindern als Spielzeug gehalten, bis sie zubeißen, dann werden sie an einen Spieß gebunden und geröstet. Insofern muss man sich Untersuchungsgebiete außerhalb menschlicher Ansiedlungen suchen4, manchmal kann man Affen auch auf Farmgelände antreffen, deren Besitzer sich aus irgendeinem Grund ein Stück Urwald erhalten wollen. Aber auch hier ist das Beobachten äußert schwierig. Insofern sind meine Befunde solche unter Luxusbedingungen in Menschenobhut.
In Kassel boten wir unseren Kapuzineraffen all das Leckere, was ein Großmarkt liefert, an. Sie waren begeistert. Nur zweimal entsetzten wir unsere Tiere. Einmal schenkten wir ihnen einen großen Weihnachtsmann. Die Affen, die selbst mit einer wilden Ratte fertig wurden, fürchteten sich und schraken zurück. Schließlich traute sich Toko, über den ich noch mehrfach berichten werde, beherzt, den Weihnachtsmann zu greifen und - wie eine Kokosnuss - aufzuschlagen. Die Reste vertilgte die gesamte Gruppe. Ein anderes Mal hatte meine Mitarbeiterin Yon Hille uns anlässlich ihres Geburtstages eingeladen und einen leckeren Salat mitgebracht. Bestandteile dieses Salates waren kleine Babykraken (achtarmige Tintenschnecken), die aber keiner von uns essen wollte. Wir gaben diese daher unseren Kapuzineraffen und riefen bei diesen Ensetzen hervor. Nur sehr vorsichtig und mit „spitzen“ Fingern wagten sie sich an das ihnen unbekannte Futter heran. Diese unbeabsichtigten Versuche wollte ich gerne in Augsburg wiederholen. Ich konnte Herrn Reviertierpfleger Peter Kühlburg überzeugen, dass seine Affen hierdurch keinen Schaden nehmen würden, und er erklärte seine Bereitschaft mitzuwirken.
Durch diese Unterstützung und durch die Mitwirkungsbereitschaft der Augsburger Kapuzineraffen, die mich in ihrem Gehege duldeten, konnte ich nun das in Kassel Versäumte nachholen und hier dokumentieren.
In der Tabelle 13.1 habe ich alle nichtmenschlichen Mitwirkenden angegeben.5


Tabelle 13.1: Die Kapuzineraffengruppe des Zoo Augsburg im August 2015
-------------------------------------------------------------------------
-Name--------------Geschlecht--Geb.--Datum--------Mutter------Herkunft---
 Erna  (Kristina )       f        18.05.1987         Erna       Kassel
 Purzel (Plato)        m         07.08.1996        Purzel      Kassel

 Ingo                  m           2005              -        Schwerin
 Mondgesicht           m           2005              -        Schwerin
 Taxifahrer            m           2005              -        Schwerin
 Der Andere            m           2005              -        Schwerin

 Bombinchen             f          2005              -        Schwerin
 Goldie                 f          2005              -        Schwerin
 Clown  Kasper          f          2005              -        Schwerin
 Bubsi                  f        13.04.2011         Erna       Augsburg
 Langer  Hans          m         17.04.2012        Goldie      Augsburg

 Jim Knopf             m         08.09.2012     Bombinchen     Augsburg
 Gulliver              m         29.09.2014     Bombinchen     Augsburg
-Christian-------------m---------15.06.2015----Clown--Kasper---Augsburg---



Abbildung 13.2: Langer Hans bei dem Aussaugen von Früchten mit einer charakteristischen Kopfhaltung




Abbildung 13.3: Weintrauben werden hier von Clown Kasper gesammelt.




Abbildung 13.4: Auch der nur sechs Wochen alte Christian ist an den Weintrauben interessiert.




Abbildung 13.5: In Augsburg demonstrierten Jim Knopf und Gulliver das angeborene Verhalten besonders eindrucksvoll mit Melonenstücken.




Abbildung 13.6: Der bereitgestellte Futtertisch wurde sofort angenommen und die Melonenstücke verzehrt (Bubsi, Clown Kasper, Purzel, Jim Knopf, Erna).




Abbildung 13.7: Hier boten wir ihnen auch verschiedene Samen und Haferflocken an (Langer Hans, Erna, Purzel, Ingo, Clown Kasper (mit Christian)).




Abbildung 13.8: So konnte Ingo das Tischchenmachen, eine weitere angeborene Verhaltensweise, demonstrieren.




Abbildung 13.9: Bei dem Tischchenmachen werden beide Unterarme nebeneinander gelegt (Jim Knopf).




Abbildung 13.10: Purzel benutzt den „Tisch“ auch zum Transport von Nahrung, im Hintergrund: Clown Kasper.




Abbildung 13.11: Angela Nolte beschrieb auch das Einreiben mit Zwiebeln als angeborenes Verhalten. Die Affen sind dabei geradezu verzückt (Clown Kasper, Purzel, Erna, Jim Knopf).




Abbildung 13.12: Die Kapuzineraffen genießen das Einreiben, das mit Aneinanderreiben verbunden ist. Offensichtlich tränen die Augen.




Abbildung 13.13: Auch das Öffnen von Kokosnüssen durch Hämmern (hier durch Purzel) ist angeborenes Verhalten.




Abbildung 13.14: Purzel inspiziert das Ergebnis seiner Arbeit (links: Gulliver)...




Abbildung 13.15: ... und trinkt den Kokossaft, beobachtet von Clown Kaspar mit Christian.




Abbildung 13.16: Am Verzehr beteiligen sich alle Gruppenmitglieder, hier Langer Hans.


Der Weihnachtsmann (Abb. 13.18) löste auch in Augsburg Entsetzen (Abb. 13.19) aus. Das dominierende Männchen Purzel traute sich aber immer wieder an den Tisch heran, zog und wackelte an diesem (Abb. 13.20), bis der Weihnachtsmann umfiel. Ein weiteres Wackeln führte zu keinem weiteren Erfolg. Es gab keinen Toko in der Gruppe (wie in Kassel, s. u.), wir brachen den Versuch ab. Am nächsten Tag boten wir wieder den nun liegenden Weihnachtsmann, garniert mit Walnüssen, an. Letztere wurden zwar vorsichtigst Stück für Stück aus dem „Gefahrenbereich“ entfernt (Abb. 13.21), der Weihnachstmann blieb unberührt. Erst nachdem Manuela Dietz unseren Weihnachtsmann zerteilte, war die Gefahr gebannt. An dem Verzehr der Schokolade beteiligte sich dann die gesamte Gruppe (Abb. 13.22).
Bei dem Tintenschneckenversuch verzierten wir das angebotene Futter mit einer Krake. Diese wurde nicht beachtet und bei der hastigen Futteraufnahme heruntergeschleudert. Bei dem Angebot einer Futterschüssel nur mit Kraken hatten die Kapuzineraffen zwar keine Probleme, sich der Schüssel zu nähern (Abb. 13.23), doch trauten sie sich nicht, eine Krake zu probieren. Wie die Kasseler Kapuzineraffen waren auch die Augsburger Nachkommen entsetzt. Am nächsten Tag boten wir die nun sorgfältig abgewaschenen Tintenschnecken erneut an. Nur einer der Kapuzineraffen, Langer Hans, versuchte das Futter (Abb. 13.26). Erst als Manuela Dietz sich zu ihnen setzte und selber Krake für Krake aß (Abb. 13.27), war der Bann gebrochen, aus ihrer Hand und ihrem Mund griffen die Kapuzineraffen nach den Kraken und „genossen“ diese dann auch ohne menschliche Unterstützung.
Die Kapuzineraffen in Augsburg lernten also, dass Kraken essbar sind. Sicherlich werden unter Freilandbedingungen ähnliche Prozesse ablaufen. Die Vorsicht vor Unbekanntem ist zweifellos evolutionär stabil und wird nicht selektioniert.
Durch das mutige Ausprobieren noch nicht bekannter Ressourcen durch ein Individuum können Futtertraditionen entstehen, die möglicherweise dann von Gruppe zu Gruppe unterschiedlich sind. Das angeborene Verhalten im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme wird dann also an neuen Objekten praktiziert.
So können Kapuzineraffen sich auch problemlos einen menschlichen Haushalt erschließen, wodurch sie aber direkte und erfolgreiche Konkurrenten um knappe Ressourcen werden. Ich bin sicher, unsere Kapuzineraffen hätten sich auch frei in Kassel behauptet. Sie wären zwar eine Behinderung des Autoverkehrs geworden, hätten aber sicherlich den nächsten Lebensmittelmarkt gefunden und erobert. Da Affen bei uns nicht „heilig“ sind, hätten sie dadurch freilich auch das Ende der „Freihaltung“ bewirkt und wären entweder erschossen worden oder in einer restriktiven Haltung gelandet.



Abbildung 13.17: Das engagierte Kapuzineraffenteam: Peter Kühlburg und Manuela Dietz




Abbildung 13.18: Der Weihnachtsmann ...




Abbildung 13.19: ... ruft Entsetzen hervor (Clown Kasper, Gulliver, Langer Hans).




Abbildung 13.20: Purzel rüttelt an dem Futtertisch.




Abbildung 13.21: Die Nüsse werden nicht verschmäht, aber nur mit Vorsicht geangelt (auf dem Tisch Der Andere).




Abbildung 13.22: Die Schokolade essen alle Gruppenmitglieder, hier wieder Langer Hans.




Abbildung 13.23: Vor den Kraken hatten die Kapuzineraffen keine Angst und betrachteten sie vorsichtig, links Der Andere, vorne Purzel.




Abbildung 13.24: Purzel zog die Futterschale herunter und stocherte mit einem Ast.




Abbildung 13.25: Am zweiten Versuchstag waren die Kapuzineraffen zwar interessiert, doch ...




Abbildung 13.26: ... wagte nur Langer Hans eine Krake zu greifen.




Abbildung 13.27: Erst das Voressen von Manuela Dietz (links Bubsi) ...




Abbildung 13.28: ... brachte den Durchbruch. Mit spitzen Fingern greift Jim Knopf vorsichtig die neue Nahrung.


In Kassel wurde ich von Besuchern regelmäßig gefragt, ob man nicht das Gehege begrünen könnte. Diesen demonstrierten wir die Antwort. Ich ließ einen Baum holen und in den Käfig stellen. Nicht umsonst werden die Kapuzineraffen „Gärtner des Waldes“ genannt, innerhalb weniger Minuten zerschroteten sie diesen Baum. Wir gaben ihnen auch regelmäßig nicht verkaufte Weihnachtsbäume zum Zerlegen. Entsprechende Erfahrungen hatte auch Herr Kühlburg gesammelt. Wir boten also auch den Augsburger Kapuzineraffen einen Baum an. Doch waren die Augsburger Kapuzineraffen wohl durch mein Vorhandensein oder durch die bereits durchgeführten Versuche nicht mehr so motiviert. Sie zerstörten ihn erst in den Folgetagen. Doch demonstrierten sie wunderbar die Leistung des Greifschwanzes im dünnen Geäst (Abb. 13.29). Gleichzeitig demonstrierten sie, dass das Blattwerk selbst aus kurzer Entfernung das individuelle Ansprechen erheblich erschwert. Man kann ermessen, wie schwierig es ist, ein Individuum in 50 m Höhe sicher anzusprechen.
Zum Abschluss meines Besuches in Augsburg demonstrierte Peter Kühlburg noch zwei seiner Ideen, das Zusammenleben der Kapuzineraffen attraktiv zu gestalten. Er sammelt verschiedene Zapfen und bietet diese seinen Kapuzineraffen an (Abb. 13.34). Diese stießen auf großes Interesse, wurden untersucht und ausgeklopft bzw. auch kunstvoll zerlegt (Abb. 13.32). Seine Mühen des Sammelns werden durch die Kapuzineraffen belohnt.
Darüber hinaus bietet er seinen Tieren alte tierreiche Wurzeln an, an denen sich seine Kapuzineraffen abarbeiten können, sie sammeln Insekten bzw. stochern nach Maden u. ä. (Abb. 13.35, 13.36)
Zu den Augsburger Namen sei bemerkt, bei der individuellen Unterscheidung einer größeren Gruppe (noch) nicht bekannter Tiere erleichtert es das Kennenlernen, wenn man nach irgendwelchen Merkmalen Namen wählt oder diese nach ihnen (angeblich) ähnlichen Menschen benennt. Frau Matys (Kapitel 4) sah eben aus wie Frau Matys, auch wenn sie nur eine Galago-Dame war. Der kleine Christian verriet während meiner Aktivitäten sein Geschlecht. Man fragte mich, ob ich Einwände hätte, ihn nach mir zu benennen. Dieses Ansinnen habe ich als Auszeichnung empfunden und gerne mein Einverständnis erteilt. In der Regel habe ich das Namengeben meinen Mitarbeitern überlassen, bzw. auch nach ihnen die Affen benannt.
Da Peter Kühlburg und Manuela Dietz die Individuen auf meinen Aufnahmen identifizierten - nur bei den Baumaufnahmen mussten sie passen -, wird augenfällig, dass neben Purzel und Clown Kasper auch Langer Hans ein besonders kooperierender Kapuzineraffe ist.



Abbildung 13.29: Fünf Kapuzineraffen direkt vor den Augen des Beobachters, nur Bubsi ist identifizierbar.




Abbildung 13.30: Kapuzineraffen im Blätterwald




Abbildung 13.31: Kapuzineraffe direkt vor dem Beobachter




Abbildung 13.32: Das Zerlegen noch grüner Zapfen durch Der Andere




Abbildung 13.33: Das Produkt des Zerlegens




Abbildung 13.34: Zapfen sind äußerst attraktive Nahrung, wie hier Taxifahrer demonstriert.




Abbildung 13.35: Totholz ist eine ideale Ergänzung des Speiseplans (Bubsi, Clown Kasper, Langer Hans, Jim Knopf, Purzel).




Abbildung 13.36: Purzel auf der Suche nach Eßbarem


13.2 Untersuchungen in Kassel



Abbildung 13.37: Das Waschen mit Harn ist auch ein typisches Verhalten bei Kapuzineraffen (Bubsi, Zoo Augsburg).




Abbildung 13.38: Purzel, Zoo Augsburg, droht dem Beobachter.


Bei unserer Arbeit an und mit Kapuzineraffen war ich an den Befunden zum sozialen Zusammenleben besonders interessiert. Andere Fragestellungen, wie z. B. zum Kommunikationsverhalten, wären sicherlich auch von großem Interesse, doch unter unseren Bedingungen - Leben in einem großen Sozialverband - waren diese Untersuchungen nicht zu leisten. Einmal wollte ich z. B. die Lautäußerungen unserer Weibchen im Oestrus mit einem extra hierfür angeschafften Richtmikrofon aufnehmen. Diese extrem auffällige und auch von noch nicht trainierten Beobachtern leicht zu hörende und eindeutig zuzuordnende Vokalisationsform war nicht aufnehmbar, sie wurde überlagert durch den Haltungslärm. Kapuzineraffen geben ständig Stimmfühlungslaute von sich und machen „Krach“ bei der schnellen Fortbewegung im Gehege, solche Geräusche blendet der menschliche Beobachter mit seinem Gehör einfach aus, die Tonaufnahme dagegen vermittelt nur ungeheuren Lärm. Selbst das „Begrüßungsgeschrei“ (s. u.) konnte ich nicht aufnehmen, begrüßte mich doch selbst Bubi nicht (s. u), wenn ich mich mit dem Mikrofon in der Hand dem Käfig näherte.
Anderen Kommunikationsformen fehlte die Eindeutigkeit. So könnte ich auch über das Genitale Imponieren (vgl. Kapitel 11) bei Kapuzineraffen berichten, doch habe ich diese Verhaltensweise nicht als Imponieren empfunden. Bei hoher Erregung erigieren Männchen den Penis und Weibchen die Klitoris6, dies war mein banaler Befund. Insofern haben wir das Genitale Imponieren und auch das auffällige Harnwaschen (Abb. 13.37) überhaupt nicht protokolliert. Darüber hinaus fehlte häufig die Eindeutigkeit der Verhaltensweisen. So konnten wir z. B. bei dem Drohen (Abb. 13.38), das schwache Drohen, das starke Drohen und das starke Drohen mit Lautäußerung leicht unterscheiden. Unsere Kapuzineraffen differenzierten aber anders, sie entschieden in Abhängigkeit von der sozialen Position des Sozialpartners. Das schwache Drohen - ein für einen nicht geübten Beobachter kaum zu erkennendes leichtes Zurückziehen der Mundwinkel - eines dominierendes Weibchens z. B. führt zur panischen Flucht des betroffenen Individuums. Das starke Drohen mit Lautäußerung, eindrucksvoll und imponierend, eines großen, aber „unbedeutenden“ adulten Männchens hingegen wird von allen Sozialpartnern ignoriert.
Nach Anfangsschwierigkeiten, über die ich noch berichten werde (s. u.), war unsere Kapuzinerhaltung sehr erfolgreich. Ich wertete gemeinsam mit meiner Mitarbeiterin Annette Klaiber-Schuh ([264]) 1995 auch bei den Kapuzineraffen die Reproduktionsdaten unserer Kolonie aus. Insgesamt wurden bis zum Zeitpunkt der Auswertung 188 Kinder (in der Regel Einlinge, nur eine Zwillingsgeburt) geboren. 62 % der Neugeborenen überlebten die erste Lebenswoche, von den Überlebenden erreichten dann 85 % zumindest das erste Lebensjahr. Erstgebärende Weibchen (n = 22) waren weniger erfolgreich als mehrfachgebärende, nur 24 % der Kinder überlebten die erste Lebenswoche. Die zweitgeborenen Jungtiere (n = 18) hatten schon höhere Überlebensraten (44 %), erst aber der dritten Geburt hatten die Neugeborenen die gleichen Chancen wie die Kinder der erfahrenen Wildfangweibchen. Das mittlere Alter der erstgebärenden Weibchen war 5 Jahre 8 Monate (± 3 Monate). Der Geburtenabstand hängt deutlich von dem Aufzuchtserfolg ab, er betrug 603 ± 21 Tage bei Kinder tragenden Weibchen (n = 88) und 338 ± 14 Tage bei Weibchen, die das Kind verloren hatten (n = 72). Der kürzeste Abstand zwischen zwei Geburten betrug 157 Tage. Eine Saisonalität war bei den Geburten in der Kolonie nicht auffällig, die meisten Kinder (n = 156) wurden zwischen April und September geboren, unabhängig von der Haltungsdauer in unserer Kolonie und unabhängig von der Vorgeschichte (Wildfang oder Nachzucht).
Das Geschlechterverhältnis Männchen zu Weibchen betrug 1 : 0,90 bei allen Jungtieren, 1 : 0,80 bei den überlebenden Kindern. Die höhere Überlebensrate männlicher Kinder bzw. die höhere Mortalitätsrate weiblicher Kinder war auffällig.
Die Hauptträgerin der Kinder ist die eigene Mutter. Soweit Fremdelternpflege überhaupt beobachtet werden konnte (ab der vierten Lebenswoche), war das Tragtier in der Regel eine Verwandte/ein Verwandter der Mutter oder deren „Freund“ (s. u.).
Den Bericht über unsere Kapuzineraffenergebnisse unterteile ich in zwei Teile. In einem ersten Teil berichte ich über die Ergebnisse in der provisorischen Primatenhaltung (1975 bis 1984) und in dem zweiten Teil über die Erkenntnisse, die wir ab 1985 in der fertig gewordenenen Primatenstation gewinnen konnten.
An der Erkenntnisgewinnung waren zahlreiche Studentinnen und Studenten engagiert beteiligt. Drei Dissertationsarbeiten ([153], [115], [39]) trugen dazu bei, zahlreiche Forschungsfragen zu beantworten. Einige Ergebnisse der Arbeiten von Petra Pippert und Hella Kröger geb. Höhmann, die auch als wissenschaftliche Mitarbeiterinnen maßgeblich die Beobachter trainierten und das Beobachten organisierten, werden Bestandteil dieses Kapitels sein. Die Staatsexamensarbeiten liegen mir leider nur teilweise vor, die Themen derjenigen von Heike Roland7 und Gabriele Werner8 habe ich aus Pippert ([153]) ungeprüft übernommen.



Abbildung 13.39: Ein kleines Kapuzinermädchen, die Klitoris ist deutlich erkennbar.


Die Staatsexamensarbeiten von Claudia Brinkmann9, Petra Pippert10, Sabine Schulz11, Michael Dulitz12, Katharina Klewitz13, waren jeweils wichtige „Meilensteine“. An den Befunderhebungen waren auch Karin Bourgeois, Beate Holstein, Dagmar Lentzkow, Uwe Orth und Cornelia Schäfer-Witt beteiligt, ihnen und den möglicherweise nichterwähnten Mitarbeitern sei ausdrücklich für ihr Engagement gedankt, das das Projekt „Kapuzineraffen“ zu einem erfolgreichen werden ließ. Dank der Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft hatte ich auch genügend Personal- und Sachmittel, um die Kapuzineraffen täglich beobachten lassen zu können. Wir protokollierten täglich das Verhalten der Sozialgruppen und zusätzlich zahlreiche Individuen über „Einzeltierbeobachtungen“- nur ein Individuum stand im Fokus des Beobachters -, zudem filmten14 wir regelmäßig das Zusammenleben der Kapuzineraffen. Insofern wurden die Kapuzineraffen seit dem Beginn der Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft täglich zumindest drei Stunden lang beobachtet. Von dem vorliegenden Datenmaterial stelle ich hier exemplarisch einige Ergebnisse vor. In der Zeit, in der ich die Primatenstation geleitet habe, konnte ich nur einen Teil der vorliegenden Daten auswerten lassen. Weitere detailliertere Analysen unser Beobachtungen werde ich vielleicht in der Zukunft vorstellen können. Hierfür hat mir die „Adelheid-Welker-Stiftung zur Förderung der primatenethologischen Forschung“ Personalmittel in Aussicht gestellt.

13.2.1 Die Anfangsjahre der Kolonie 1974 - 1984

Der Aufbau der Kolonie und erste Ergebnisse

Bei meinem Wechsel nach Kassel 1974 waren eigentlich keine geeigneten Haltungsbedingungen vorhanden. Der Leiter der Arbeitsgruppe Zoologie und vergleichende Anatomie, Prof. Dr. Werner Meinel, hatte für seine Pläne, eine Primatenhaltung für anatomische Versuchsvorhaben zu etablieren, vier Räume über den Zentralen Werkstätten der Hochschule organisiert.15 Diese eigentlich typischen Büroräume mit abgehängten Klimadecken waren zumindest gefliest und hatten einen Bodenabfluss. In einem Raum, dem späteren Kapuzinerraum, standen auch bereits drei Käfige vor der Fertigstellung. Bei unseren Gesprächen ging er auch bereitwillig auf mein Anliegen ein, Kapuzineraffen anzuschaffen. Er bestellte umgehend „kleine“ Kapuzineraffen bei einem Importeur, er dachte dabei aber wohl an kleinere Arten.



Abbildung 13.40: Purzel (links) und Tschiggo mit verklebtem Fell


Bereits am 13. Mai 1974 war es dann soweit, die ersten Kapuzineraffen kamen in Frankfurt an. Doch unsere Freude war mehr als getrübt, auf dem Transport bzw. in den ersten Tagen nach Ankunft starben von den 12 importierten Tieren 10, Tschiggo und Purzel überlebten, wenngleich zunächst in jämmerlichem Zustand. Die Exporteure hatten uns - so wissen wir heute - Kapuzinerbabies geschickt, die wegen ihres Alters an sich schon kaum Überlebenschancen gehabt haben. Zudem kamen die Tiere gemeinsam verpackt in einer kleinen Kiste (um Transportkosten zu sparen), durch Futterreste, Urin und Exkremente völlig verklebt, an, so dass bereits bei der Ankunft in Frankfurt der Großteil der Affen tot oder irreparabel geschädigt war. Die Entscheidung, wie im Tierhandel üblich, die „Sendung“ zurückgehen zu lassen, konnte ich nicht treffen, hätte ich doch auch die Überlebenden dem sicheren Tod ausgeliefert. Auch der zweite (Ersatz-) Transport (22.6.1974) bestand wiederum mehrheitlich aus Babies, von denen ebenfalls nur zwei überlebten.16
Tschiggo und Purzel hielten wir in demselben Raum, in dem bereits ein von mir aus Gießen mitgebrachtes Riesengalagopaar (Werner und Ilse) lebte. Ich habe schon berichtet (Kapitel 4), dass deren Tochter Josephine ihren Käfig mühelos verlassen konnte, sie „besuchte“ auch regelmäßig Tschiggo und Purzel in deren Käfig. Bei Ankunft des zweiten Transportes waren bereits Käfige in dem späteren Kapuzinerraum installiert (Käfig 3 und 4 der Haltungsskizze, der Käfig 3 war durch eine Eternitwand unterteilt). Im hinteren der beiden Teilkäfige lebten ab dem 21.06.1974 drei Javanermakaken, die sich Werner Meinel von den Behringwerken in Marburg schenken ließ. In Kapitel 14 werde ich über unsere Haltungserfahrungen und über Schwierigkeiten berichten. Ich konnte glücklicherweise Werner Meinel überzeugen, dass die von ihm geplanten Käfige ungeeignet waren. Es fehlten jegliche Absperrmöglichkeiten, zudem war die gewählte Maschenweite für die geplante Affenhaltung zu weit. Die Mehrheit der anzuschaffenden Arten hätte die Käfige mühelos durch das Gitter verlassen können. Er unterstützte auch mein Bemühen, zusätzlich Außengehege (auf dem Dach des Werkstattgebäudes) errichten zu lassen. Die Tiere des zweiten Importes konnten in den Käfig 4 (vgl. Abb. 13.44) überführt werden. Wir hielten also die beiden Paare Kapuzineraffen (Tschiggo/Purzel und Hoppediz/Eda) räumlich getrennt in verschiedenen Bereichen der Hochschule.17



Abbildung 13.41: Tschiggo als juveniles Männchen




Abbildung 13.42: Purzel als juveniles Weibchen


Nach der Fertigstellung der Umbauten im Kapuzinerraum (zwei Außenkäfige, drei zusätzliche Innenkäfige (Käfig 518 und 6 der Haltungsskizze) und nach der Errichtung der Käfige im Makakenraum (mit einem engeren Käfiggitter - Josephine hatte Meinel überzeugt) besuchten meine Frau und ich meinen Freund Dr. Iggo Tholen, der damals im Kronberger Opelzoo arbeitete. Bei einem Rundgang berichteten uns die Tierpfleger, denen ich von meinen Kapuzinerplänen berichtete, sie hätten einen siebzehnjährigen Kapuzinermann in Pflege. Die Besitzerin sei wohl verstorben, wenn ich wollte, könnte ich ihn mitnehmen. So traf ich Bubi. Bubi lebte in einem kleinen „Affenkäfig“, den wohl Privatleute damals für hinreichend hielten. Die Vorbesitzerin hatte ihm die Eckzähne ziehen lassen. Durch die jahrelange Haltung unter diesen Bedingungen, vermutlich auch durch Vitaminmangel, konnte Bubi kaum springen, seine Hüftgelenke waren versteift, Bubi war viel größer als unsere Kapuzineraffen, seine Fellfarbe jedoch identisch. Eigentlich war Bubi ein Affe, den ich von seinem körperlichen Zustand her nicht „gebrauchen“ konnte. Er tat mir aber Leid und offensichtlich hegte er auch Sympathie für mich. Eine jahrelange Freundschaft begann. Dass gerade Bubi uns so viele Ergebnisse liefern sollte (s. u.), ahnten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht.



Abbildung 13.43: Bubi, 17 Jahre alt


Wir nahmen ihn am 20.03.1975 mit nach Kassel, ich ließ ihn einen gerade fertiggewordenen Käfig des noch nicht genutzten Makakenraumes beziehen. Meiner Tierpflegerin Edith Lorenz hinterließ ich die schriftliche Nachricht, ich hätte einen zahmen Kapuzineraffen, namens Bubi, mitgebracht. Sie solle am nächsten Morgen auf mich warten. Hier folgte Edith Lorenz mir nicht, vielmehr rief sie mich am nächsten Morgen an: „Ihr Bubi hat mich ins Bein gebissen, Scheiße!“. Bubi war frei. Kaum betrat ich den Raum, begrüßte er mich mit lautem Geschrei und ließ sich mühelos (mit Unterstützung eines Schrubbers) zurück in seinen Käfig drängen. Durch unsere vitaminreiche Diät und den größeren Bewegungsraum wurde er auch von Tag zu Tag gewandter und bewegungsfreudiger und nutzte alle Bereiche des Käfigs.
Nun war es mein Anliegen, unsere getrennt gehaltenen Kapuzineraffen zusammenzuführen. Die sozialen Beziehungen bei beiden getrennt beobachteten Paaren (Tschiggo und Purzel, Hoppediz und Eda) beschränkten sich auf gemeinsames Ruhen in engem Körperkontakt. Gegenseitige soziale Körperpflege konnte nicht beobachtet werden, agonistische Interaktionen waren selten. Bei erstem optischen Kontakt aller vier Tiere war bemerkenswert, dass die mit Hilfe einer Umsetzkiste in einen benachbarten Käfig überführten Tschiggo und Purzel in ihrer Kiste wie tot verharrten, während Hoppediz und Eda explorierten. Als jedoch nach 32 Minuten Tschiggo und Purzel ihre Umsetzkiste vorsichtig verließen, suchten Hoppediz und Eda fluchtartig einen höhergelegenen Ruheplatz auf und nahmen dort Demutstellung ein. Am 03. Juni 1975 vergesellschafteten wir die beiden Paare. Alle vier Tiere suchten zwar bei Ruhe bzw. Gefahr den gegenseitigen Körperkontakt, doch blieb das völlige Fehlen sozialer Körperpflege auffällig. Nach Separierung des schwächlichen Weibchens Eda ließen wir schließlich am 06. Juli 1975 auch Bubi hinzu. Sowohl Bubi als auch das Trio Tschiggo, Purzel und Hoppediz drohten sich gegenseitig und flohen voreinander. Doch bereits am Abend des Fusionstages beobachteten wir, dass Bubi den seines Weibchens „beraubten“ Hoppediz putzte, wobei dieser das Putzen anfänglich nur kurz zuließ und dann floh. Bereits am folgenden Tag zeigte Bubi soziale Körperpflege auch gegenüber Purzel und Tschiggo. In den nächsten Tagen waren auch von Tschiggo, Purzel und Hoppediz ausgehende Anfänge der sozialen Körperpflege, nämlich vorsichtiges Zupfen an den Haaren der anderen Tiere, zu beobachten; Bubi nahm häufig eine Putzaufforderungsstellung ein, doch blieb seine Aufforderung meist ohne Antwort. In der so gebildeten Ausgangsgruppe (A-Gruppe) waren agonistische Aktivitäten selten. Die Beobachtungen riefen bei uns damals den Eindruck hervor, soziale Körperpflege müsse gelernt werden. Diese Hypothese konnten wir später eindeutig falsifizieren (s. u.), unsere Kapuzineraffen waren zu jung, um soziale Körperpflege zu zeigen.



Abbildung 13.44: Skizze der Haltungsanlage, 1-2 Außengehege, 3-7 Innengehege


Die schwere Entscheidung, ob es überhaupt zu verantworten sei, noch weitere Kapuzineraffen zu importieren, hatte ich bereits vor der Übernahme von Bubi getroffen. Voraussetzung war die Verbesserung der Importbedingungen. Gemeinsam mit den Kasseler Veterinären, von denen ich hier Herrn Dr. Primus besonders erwähnen möchte, habe ich viele Eingaben gemacht, damit sich die Situation bei dem Import bessert. In den Einfuhrbestimmungen steht nämlich eindeutig, dass nur zwei Tiere pro Abteil gesendet werden dürfen. Diese Bestimmung einzuhalten und zu überprüfen, haben wir eindringlichst angeregt. So unerfreulich der Tod der jungen Affen war, so erfolgreich war dann unser Bemühen, wurden doch dann in der Folgezeit die Bestimmungen eingehalten, was unzähligen importierten Affen (nicht nur in Kassel) das Leben gerettet hat. Dafür sei den Herren vom Staatlichen Veterinäramt in Kassel bzw. den Herren Veterinären beim Regierungspräsidenten in Kassel besonders gedankt. Wir forderten nicht nur nachdrücklich, dass die Importbestimmungen eingehalten werden und die Tiere adult19 sein sollten, wir installierten auch in mühevoller Kleinarbeit für alle Fälle verstellbare Zwischenböden und -decken (Fichtenholzrahmen mit Maschendraht), die es uns erlauben sollten, die neu errichteten an sich schon kleinen Quarantänekäfige (1 x 1 x 2,5 m) noch weiter zu verkleinern. So wollten wir geschwächte Tiere vor dem Sturz auf den Käfigboden bewahren.20 Zudem installierten wir in jedem der drei für die Quarantäne zur Verfügung stehenden Käfige mehrere Holzleitern. Nach diesen Vorbereitungen warteten wir auf den Anruf, wann die Tiere in Frankfurt ankommen würden. Endlich, am 14. Juli 1975, war es soweit, die Affen sollten gegen Abend eintreffen. Ich machte mich, gemeinsam mit meiner Frau, auf den Weg nach Frankfurt, um bei Ankunft schon am Flughafen zu sein. Auf der Höhe von Grünberg, ca. 70 km vor Frankfurt, gab unser Motor jedoch plötzlich auf, ich musste mich nach Grünberg abschleppen lassen, wo festgestellt wurde, dass ein neuer Motor einzubauen sei. Daher mieteten wir einen Leihwagen und fuhren nach Frankfurt weiter. Am Flughafen angekommen erfuhr ich, dass die Kapuziner zwar eingetroffen, dass aber um diese Zeit, 22.00 Uhr, sowieso kein Veterinär mehr die Tiere ansehen würde, wir könnten die Tiere ja morgen mitnehmen. - In unserer Phantasie sahen wir vor unseren Augen nun schon wieder Kapuzinerleichen. - Mehrere Anrufe bei den Flughafenveterinären, „ein Verrückter bestünde darauf, die Sendung noch heute mitzunehmen“, hatten Erfolg. Es wurde erreicht. dass einer der Veterinäre sich die Tiere ansah und feststellte, dass alle lebten, nur waren die Begleitpapiere, das vorgeschriebene Gesundheitszeugnis des Exportlandes, falsch. Statt für Affen war es für Papageien ausgestellt. - Auch stimmte die Anzahl der Tiere (11) mit der Angabe auf den Begleitpapieren (10) nicht überein, was wir aber erst in Kassel feststellten. Die Affen durften also eigentlich nicht eingeführt werden. Nach längeren Diskussionen hatte aber auch hier der Flughafenveterinär ein Einsehen und erlaubte uns, die Tiere mitzunehmen. Glücklich kehrten wir mit unserer „Last“ nach Kassel zurück. Gleich nach Ankunft ließen wir die Tiere in die vorgefertigten Käfige. Alle lebten, waren zwar nur teilweise adult, aber zumindest keine Säuglinge mehr. Unsere Freude wurde auch dadurch überhaupt nicht beeinträchtigt, dass die - offensichtlich ungeschwächten - Tiere sofort begannen, nicht nur die vorbereitete Nahrung zu verspeisen, sondern auch die gesamte Inneneinrichtung, Leitern, Decken und Böden, systematisch und erfolgreich zu zerstören. Sie verarbeiteten das gesamte Fichtenholz zu großen Fasern, wobei wir sie frohgestimmt beobachteten: Hatten wir doch unser erstes „Ergebnis“: Fichtenholz ist nicht geeignet. In der Folgezeit verwendeten wir Buche (Stangen), Mahagonie (Kanthölzer) und Eiche (Bretter). Hier begann nun gleichzeitig der erfolgreiche Abschnitt der Kasseler Kapuzinerhaltung.



Abbildung 13.45: Teufel mit dem ersten in Kassel geborenen Kapuzineraffen


Durch diesen Import nun auch ausgewachsener Weibchen konnten wir auch unsere Tiere systematisch bestimmen ([87]). Sie gehörten der Unterart Cebus apella cay ILLIGER, 1815, an. Bubi dagegen war Vertreter einer anderen Unterart, ihn haben wir dann der Unterart Cebus apella libidinosus SPIX, 1823, zugeordnet.21
Darüber hinaus bescherte uns dieser Import22 erste „Zuchterfolge“, zwei Weibchen waren schwanger und trugen ihr Junges auch aus. Bereits am 22.08.1975 überraschte uns Teufel mit der ersten Geburt eines Kapuzineraffen. Wir waren glücklich! Wenige Tage später schrieb ich einen Brief an Angela Nolte und lud sie ein, nach Kassel zu kommen. Sie kam auch und freute sich mit uns. Der kleine Kapuzineraffe wurde quer zur Längsachse auf dem Rücken getragen und regelmäßig gesäugt. Dabei trinkt der kleine am Bauch hängende Kapuzineraffe erst an der einen, dann an der anderen Brust und klettert selbständig auf den Rücken zurück. Der Vorgang geht sehr schnell, eben ist der Säugling noch auf dem Rücken der Mutter und plötzlich am Bauch. Trotz sorgfältiger Beobachtungen hatte ich mir eingebildet, der kleine Säugling klettere mit dem Kopf voran erst zu der einen, dann zu der anderen Brust. Tatsächlich (den Videoaufnahmen sei Dank) hebt die Mutter ihren Arm, das Junge lockert den Griff der Hände und lässt sich auf die eine Brust fallen, dann wechselt es zur anderen und klettert dann auf den Rücken zurück.
Umso trauriger waren wir, als wir unser erstes Kapuzineraffenkind am 26.09.1975 tot vorfanden. Undenkbar war damals für uns, es könnte von Artgenossen getötet worden sein. Als Todesursache notierte ich „Fall auf den Käfigboden“. Heute bin ich sicher, das Kind wurde gezielt getötet, wahrscheinlich sogar von seiner Mutter. Gleich nach der Geburt nämlich begann Teufel um Bubi zu werben, der aber nur mit Drohen reagierte. Erst nach dem Tod des Kindes konnte Teufel enge soziale Kontakte zu Bubi etablieren.
Über die sozialen Beziehungen der neuimportierten Tiere habe ich detailliert berichtet ([241]), auch die Fusion der zufällig zusammengesetzten drei Gruppen zur B-Gruppe und die Fusion der A-Gruppe (Tschiggo, Purzel, Hoppediz, Bubi) mit der B-Gruppe gelang.23 Parallel mit der Geburt des kleinen Kapuzineraffen (s. o.) nahmen die Konflikte in der Gruppe zu, so dass wir die am meisten bedrohten Individuen separieren mussten. ([241]).
Kurzgesagt war es nicht möglich, alle Kapuziner langfristig gemeinsam in einer Gruppe zu halten, da Teufel erfolgreich versuchte, sich die Beziehung zu Bubi exklusiv zu sichern, indem sie nach der Geburt von Toko, dem ersten in Kassel gezeugten Kapuzineraffen, fast alle anderen Tiere aus der Gruppe verdrängte. Durch verschiedene Experimente und unterschiedlichste Kombinationen erhielten wir schließlich drei Gruppen, die relativ friedlich miteinander im gleichen Raum mit Sichtkontakt zusammenlebten. Eines der wichtigsten Resultate dieser Experimente war, dass in jeder Gruppe ein Männchen und ein Weibchen dominierten. Darüber hinaus war besonders auffällig, dass Individuen Partner des eigenen Geschlechtes solchen des anderen Geschlechtes vorzogen, dass also Weibchen bevorzugt mit Weibchen und Männchen mit Männchen interagierten. Für uns überraschend war zudem, dass die Weibchen im Oestrus um die Männchen warben, dass also Kopulationen von den Weibchen „hervorgerufen“ werden müssen.24 Die Weibchen nähern sich dazu mit charakteristischer Mimik und Vokalisation (Oestrusgesicht) einem bestimmten Männchen und versuchen, dieses zu animieren, sie zu verfolgen. Kapuzinermännchen scheinen aber grundsätzlich wenig an oestrischen Weibchen interessiert, so dass diese es immer wieder erneut versuchen müssen.



Abbildung 13.46: Elisabetta Visalberghi in ihrer Tierhaltung in Rom


Jahre später - in der neuen Primatenstation - konnte Elisabetta Visalberghi ([228]) unsere Beobachtungen bestätigen25, sie kam zu dem Schluss, dass das Sexualverhalten der Kapuzineraffen ein weiteres Charakteristikum ist, um den Kapuzineraffen eine einzigartige Stellung unter den Affen der neuen Welt zuerkennen zu müssen.



Abbildung 13.47: Teufel mit Toko, dem ersten in Kassel gezeugten Kapuzineraffen, putzt Bubi ständig.


Besonders auffällig war weiterhin, dass anfänglich nur ein einziges Männchen besonders attraktiv war. In unserem Fall war dies der alte Bubi, der uns Menschen wenig attraktiv schien. Alle anderen - nach unserer Ansicht weit schöneren und objektiv stärkeren - Männchen fanden wenig Beachtung. Da Bubi nun mit Teufel separiert war, alle anderen Weibchen jedoch nur um ihn (durch das Gitter) warben, waren die Zuchterfolge bescheiden. Sehen wir von der schon im Freiland gezeugten Jeanette ab, bekam nur Teufel ein im Sozialverband gezeugtes Junges (Toko)). Ein weiteres Jungtier „erzeugten“ wir, durch das kurzfristige Vergesellschaften von Ama mit Bubi (Resultat: Kim). Heute bin ich sicher, unsere Misserfolge bei der Zucht der Kapuzineraffen beruhten darauf, dass unsere Männchen nicht alt genug waren, um zu züchten. Dies hatten wir freilich nicht erkannt, es war aber wohl unseren Kapuzinerdamen bewusst. Durch verschiedene Versuche des Zusammenlassens und Trennens erhielten wir schließlich drei Gruppen, nämlich die am stärksten bedrängten Individuen (Erwin, Ama und Sanga (nebst Sangas Tochter Jeanette), das „Paar“ Bubi/Teufel (nebst Teufels Sohn Toko) und Primus, der einzige Kapuziner der B-Gruppe, der von Teufel toleriert wurde, und die restlichen neun Individuen. Irgendwie war mein Versuch, eine große funktionierende Sozialgruppe zu bilden, gescheitert.
Dann machte mir Werner Meinel ein nicht beabsichtigtes und nicht von mir gewolltes „Geschenk“, er informierte mich, er habe weitere Kapuzineraffen bestellt, die er ungefragt für eine mit Affen arbeiten wollende Kollegin26 bestellt hatte. Ich sollte mich um die Quarantäne kümmern. Ohne einen Quarantäneraum zu besitzen, vereinbarte ich mit den zuständigen Veterinären, alle Kapuzineraffen unter Quarantäne zu stellen, als Quarantänekäfige sollten die drei bereits installierten zusätzlichen Käfige (s.o.) dienen. Am Vortag der Ankunft (11. Juli 1977) bekam Teufel ihr zweites Kind, Edith, das sie tadellos annahm. Am Abend des 12. Juli 1977 holte ich die sechs neuen Kapuzineraffen in Frankfurt ab und überführte sie in unsere Haltung. Durch diesen Import erhielten wir erstmals auch ein großes Männchen (Don), das uns belegte, wie ein erwachsener Kapuzinermann auszusehen hat, ein jungadultes Männchen, Jens, drei adulte Weibchen, Sylvia, Page und Dunka, und ein jungadultes Weibchen, Lena. Don war für Teufel und gerade für Teufel offensichtlich attraktiver als Bubi. Teufel sah Don, streifte ihr ein Tage altes Kind ab (Edith fiel auf den Boden) und begann (durch das Gitter) um Don zu werben. Das schreiende Kapuzinerbaby wurde von ihr nicht mehr beachtet. Teufel holte sogar Futter vom Boden, direkt neben dem Kind, ohne auch nur Anstalten des Kümmerns zu zeigen.27 Bereits in der zweiten Woche nach Import mussten Page und Dunka - offensichtlich von Sylvia verdrängt - aus der Gruppe entfernt werden28, Jens und Lena hielten sich vornehmlich in einem Fluchtkasten29 oder am Boden auf. Don und Sylvia waren deutlich dominierend. Nach Abschluss der Quarantäne, also sechs Wochen nach Import, ließ ich einen weiteren Käfig (Käfig 7) errichten. Die sechs neu importierten Tiere hielten wir dann gemeinsam in den Käfigen 6 und 7 des Haltungsraumes hier trennten sich die Tiere auch räumlich, Page, Dunka und Jens hielten sich vermehrt in Käfig 6, Don, Sylvia und Lena in Käfig 7 auf. Bubi, Teufel, Toko und Primus überführten wir in den umgebauten Käfig 5, sie hatten also Gitterkontakt zur C-Gruppe. Beide Gruppen hatten zudem optischen und akustischer Kontakt zu allen anderen Kapuzinern, die in Käfig 3 (Iggo-Gruppe) bzw. Käfig 4 (Erwin-Gruppe) untergebracht waren. Die beiden dominierenden Männchen Don und Bubi bedrohten sich gegenseitig und kämpften wenige Tage später miteinander durch das Gitter. Bubi freilich war chancenlos.



Abbildung 13.48: Don war „der“ Kapuzinermann.


Der physischen Kondition entsprechend führte der unerbittliche Kampf bei Bubi zu schweren Verletzungen an Schwanz, Fuß und Hand, während Don außer dem Verlust einiger Haare unverletzt blieb.30


Tabelle 13.2: Die Kapuzineraffenkolonie am 12.07.1977
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 Name        Geschlecht  Geb.  Datum    Importdatum    Mutter    Gruppe
                          (gesch¨atzt)     (Ankunft  )
-Tschiggo--------m-----------1973--------13.05.1974----------------A------

 Purzel          f           1974        13.05.1974                A
 Hoppediz        m           1973        22.06.1974                A
 Bubi            m           1958        22.03.1975                A
 Iggo            m           1971        14.07.1975                B

 Erich           m           1971        14.07.1975                B
 Erwin           m           1971        14.07.1975                B
 Primus          m           1973        14.07.1975                B
 Teufel          f           1968        14.07.1975                B
 Inge            f           1969        14.07.1975                B

 Migga           f           1971        14.07.1975                B
 Sanga           f           1970        14.07.1975                B
 Ama             f           1970        14.07.1975                B
 Erna            f           1973        14.07.1975                B
 Baja            f           1973        14.07.1975                B

 Jeanette        f        28.10.1975                    Sanga
 Toko            m        18.06.1976                    Teufel
 Edith           f        11.07.1977                    Teufel
 Don             m           1966        12.07.1977                C
 Jens            m           1974        12.07.1977                C

 Sylvia          f           1968        12.07.1977                C
 Lena            f           1973        12.07.1977                C
 Page            f           1968        12.07.1977                C
 Dunka           f           1973        12.07.1977                C
--------------------------------------------------------------------------

Nach diesem Kampf mied Bubi das Gitter zum benachbarten Käfig, Teufel hingegen, die bis dahin Bubi stets stundenlang geputzt hatte, stellte die soziale Körperpflege Bubis völlig ein und warb durch das Gitter um Don. Da dieser Zustand andauerte, sperrten wir sie am 26. August 1977 zur C-Gruppe. Dort umwarb Teufel Don und „erreichte“, dass dieser bereits wenige Minuten nach der Introduktion mit ihr kopulierte. Anschließend wurde sie von Sylvia und Page bedroht. Teufel bezog das Drohen offensichtlich nicht auf sich, drehte sich vielmehr um und drohte in die gleiche Richtung wie Sylvia. Als Sylvia sie jedoch angriff, führte dies zu lang andauernden Beschädigungskämpfen, die Teufel für sich entschied. Die anschließende Introduktion von Primus und Toko verlief problemlos. In den der Introduktion folgenden Tagen und Wochen waren drei Untergruppen zu beobachten. die sich auch in getrennten Käfigen aufhielten, Teufel/Primus/Toko in Käfig 5, Dunka/Page in Käfig 6 und Sylvia/Lena/Jens in Käfig 7. Don hielt sich vornehmlich ebenfalls in Käfig 7 auf, bewegte sich aber grundsätzlich ungehindert in allen drei Käfigen.
Den stark geschwächten Bubi introduzierten wir (ebenfalls am 26. August 1978) in die Iggo-Gruppe.31 Hier wurde er sofort von Tschiggo, Purzel und Hoppediz begrüßt und geputzt und suchte mühselig einen höher gelegenen Ruheplatz auf, Iggo hingegen war vermehrt auf dem Boden zu finden und zeigte stereotypes Kreislaufen.32



Abbildung 13.49: Das dominierende Weibchen Migga suchte Bubis Nähe und putzte ihn, hier mit Florian auf dem Rücken (Hintergrund: Inge).




Abbildung 13.50: Individuen der neuen Bubi-Gruppe bedrohen Don im Außengehege.


Bei erstem Gitterkontakt zwischen Don- und Bubi-Gruppe33 (am 16. 09. 1978 in den Außenkäfigen) nahmen Teufel, Toko und Primus Kontakt zu den Mitgliedern der Bubi-Gruppe auf. Don wurde von Iggo und Erich begrüßt. Plötzlich fing jedoch Erich an, Angstschreie von sich zu geben, daraufhin stürzten mit Ausnahme von Bubi, Inge, Erna und Baja alle anderen Mitglieder der Bubi-Gruppe an das Gitter und drohten. Don wich zurück und drohte ebenfalls aus sicherer Entfernung. Gleichzeitig drohten Teufel, Primus und Toko mit dem Rücken zur Bubi-Gruppe ihren neuen Gruppenmitgliedern, Teufel sogar Don.34



Abbildung 13.51: Don droht aus sicherer Entfernung den Individuen der Bubi-Gruppe zurück.


Auch ohne die „Unterstützung“ der Bubi-Gruppe nahmen im Oktober 1977 die agonistischen Aktionen von Primus gegenüber Sylvia, Lena und Jens zu, vor allem verstärkte Primus stets ein Drohen Teufels. Daher introduzierten wir ihn am 22. November 1977 in die Bubi-Gruppe. Sogleich nach Introduktion wurde Primus von Hoppediz, Tschiggo, Erich, Iggo, Migga und Purzel begrüßt. Neben dem üblichen Begrüßungsverhalten, wie Umarmen, Besteigen, Beriechen und Betasten der Genitalien, waren hier auch laute Begrüßungsschreie zu hören. Anschließend an die Begrüßungsphase griff Primus ohne ersichtlichen Grund Tschiggo an, worauf er von Hoppediz, Erich, Migga, Purzel und auch Tschiggo mehrfach gejagt wurde, was bei Primus zu stereotypen Kreislaufbewegungen führte. Bereits am nächsten Tag war Primus jedoch integriert und suchte besonders den Kontakt zu Iggo, dem physisch stärksten Männchen der Gruppe.

Experimente zur Gruppenbildung

Wir stellten also fest, dass alle Individuen des A- und B-Transportes zwar nicht gemeinsam zu halten waren, dass sie sich aber dennoch gegenseitig unterstützten bei Anwesenheit bzw. bei Auseinandersetzungen mit den Neuimportierten. Auch diese sechs Tiere waren nicht gemeinsam zu halten, halfen sich aber gegenseitig gegenüber den A- und B-Tieren. Offensichtlich waren die Individuen des eigenen Transportes ihnen vertrauter als die des anderen. Diese Situation nutzten wir aus, um eine große Kapuzinergruppe bilden zu können ([254]).



Abbildung 13.52: Don




Abbildung 13.53: Erwin




Abbildung 13.54: Sanga


Wir fusionierten sukzessive alle Individuen der Don-Gruppe35 und der Erwin-Gruppe36 - die Bubi-Gruppe (11 Tiere, Käfig 3) war für vorliegende Untersuchung ohne Bedeutung. Die Erwin-Gruppe (Käfig 4) bestand aus dem adulten Männchen Erwin und zwei adulten Weibchen mit jeweils einem weiblichen Jungtier, nämlich Ama mit der am 20.08.1977 geborenen Bubi-Tochter Kim und Sanga mit Jeanette (vgl. Tabellen 13.2 und 13.3). Ama war dominierendes Weibchen.37
Durchgängiges Phänomen der gesamten Versuchsserie war der starke Zusammenhalt der jeweils gemeinsam importierten Individuen. Um dies deutlich werden zu lassen, gebe ich in diesem Abschnitt zusätzlich zu dem Namem des jeweiligen Individuums in Klammern die Importgruppe an.
Vor Beginn der eigentlichen Experimente separierten wir am 30.11.1977 die beiden am stärksten bedrohten Weibchen der Don-Gruppe, Dunka (C) und Page (C), in Käfig 5 und fusionierten sie mit der Erwin-Gruppe (Käfig 4). Page (C) und Dunka (C), deren Randpositionen in der Don-Gruppe gleich nach Import (12.07.1977) auffällig waren (s. o.), hatten bis zu diesem Zeitpunkt keinen direkten Kontakt zu Mitgliedern der Erwin-Gruppe. Sogleich nach Fusion griffen Ama (B) und Sanga (B), ihre Gruppe im Hintergrund, die beiden introduzierten Tiere an und verwickelten sie in heftige Beschädigungskämpfe. Erwin (B) und Jeanette hingegen beschränkten sich auf bloßes Drohen gegenüber Page (C) und Dunka (C). Es war also offensichtlich nicht möglich, die Tiere der Erwin-Gruppe mit diesen beiden Weibchen „friedlich“ zusammenzuhalten. Wir trennten daher nach zwanzig Minuten die Erwin-Gruppe wieder ab.
Zu den in Käfig 5 separierten Weibchen Page (C) und Dunka (C) ließen wir am 01.12.1977 Sanga (B) (aus der Erwin-Gruppe) zu. Obwohl Page (C) und Dunka (C) zu zweit und im Gegensatz zu Sanga (B) mit Käfig 5 vertraut waren, drohte Sanga (B) nach Introduktion. Ihr Angriffsverhalten wurde durch die übrigen Mitglieder der Erwin-Gruppe (Käfig 4) und durch Teufel (B) (Käfig 6, 7) verstärkt, nicht jedoch durch die restlichen Tiere der Don-Gruppe. Bereits am nächsten Tag hatte sich ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Gruppenmitgliedern Sanga (B), Page (C), Dunka (C) eingestellt. Teufel (B) drohte zwar weiterhin gegen Page (C) und Dunka (C), doch setzte Sanga (B) diese Angriffe nicht mehr fort. Page (C) und Dunka (C) saßen jetzt häufig gemeinsam im Zwischengang oder auf einem der Schlafkästen, während Sanga (B) sich meistens alleine und auf dem Boden bewegte. Im Laufe der darauffolgenden Tage entwickelten sich positiv soziale Beziehungen zwischen Page (C), Dunka (C) und Sanga (B), die sich in Kontaktsitzen äußerten.
In die somit stabilisierte Sanga/Page/Dunka-Gruppe, in der Page (C) und Dunka (C) dominierten, introduzierten wir am 13.12.1977 als nächstes Tier Sangas (B) Tochter Jeanette. Kaum hatte sich der Schieber geöffnet, griff die sich am Boden befindliche Sanga (B) sofort Page (C) und Dunka (C) an. Sie war sich offensichtlich sicher, von ihrer Tochter unterstützt zu werden. Jeanette suchte nach der Fusion vor allem sozialen Sitzkontakt zu ihrer Mutter, wobei auch gegenseitige soziale Körperpflege zu beobachten war. Page (C) und Dunka (C) hingegen separierten sich und hielten sich fast ausschließlich wieder gemeinsam im Zwischengang auf. Anfänglich drohte Jeanette gemeinsam mit Sanga (B) gegen Page (C) und Dunka (C), vornehmlich wieder dann, wenn Teufel (B) aus dem Nachbarkäfig drohte, doch schon am zweiten Tag nahm sie positiv-sozialen Kontakt zu Page (C) und Dunka (C) auf.



Abbildung 13.55: Dunka




Abbildung 13.56: Toko (links) und Erich




Abbildung 13.57: von links: Ama, Teufel, Dunka




Abbildung 13.58: Tschiggo (links) und Jeanette




Abbildung 13.59: Jens (links) und Jeanette


In diese Gruppe, in der eindeutig Sanga (B) und Jeanette dominierten, introduzierten wir am 18.12.1977 das subadulte Männchen Jens (C) aus der Don-Gruppe, das in dieser Gruppe häufig von Teufel (B) bedroht wurde. Sofort nach Introduktion suchte Jens (C) den Kontakt zu Sanga (B) und Jeanette, beroch diese und saß mit diesen im engen Körperkontakt. Zudem nahm er besonders enge Beziehungen zu Page (C) auf. Obwohl Teufel (B) aus dem Nachbarkäfig weiter gegen Page (C) und Dunka (C) drohte, zeigten jetzt Sanga (B) und Jeanette agonistisches Verhalten nur noch gegenüber Dunka (C), die zusätzlich jetzt auch von Page (C) bedroht wurde. Im Gegensatz zu dem agonistischen Beziehungsgefüge waren positiv soziale Kontakte zwischen Sanga/Jeanette und Page jedoch nicht mehr zu beobachten. Hingegen putzten Sanga (B) und Dunka (C) sich gegenseitig. Jens (C) war offensichtlich attraktivstes Tier in der Gruppe, hatte er doch zu allen Mitgliedern seiner neuen Gruppe positiv sozialen Kontakt.38
Sofort nach Introduktion des adulten Männchens Erwin (B) am 05.01.1978 stand dieses als dominierendes Männchen im Mittelpunkt der Gruppe, wobei Erwin (B) den intensivsten Kontakt zu Jens (C) und Dunka (C) aufnahm, mit denen er vorher nicht zusammengehalten wurde. Die Gruppe zerfiel offensichtlich in zwei Untergruppen, nämlich Sanga/Jeanette und Page/Dunka/Jens, wobei besonders auffällig war, dass Dunka nun wieder stärkeren positiv sozialen Kontakt (Kontaktsitzen, gegenseitige soziale Körperpflege) zu Page und Jens aufnahm. Sanga und Jeanette hielten sich nun öfter am Boden auf, hatten also offensichtlich ihre dominierenden Positionen verloren, auch wurde jetzt Sanga (B) von Page (C) bedroht.
Durch Erwins Wechsel in den Käfig 5 bestand für ihn nun auch Gitterkontakt zu Mitgliedern der Don-Gruppe. Schon am Abend des ersten Tages spielte Erwin außer mit Jens auch mit Don und Toko am Gitter. Teufel (B) hielt sich weiter am Boden auf. Obgleich bis zu Erwins Introduktion kein gegen Teufel gerichtetes Verhalten beobachtet werden konnte, sprachen am Abend des gleichen Tages Verletzungen bei Teufel (B) und Lena (C) für einen Kampf zwischen beiden Tieren. Während sich in den folgenden Tagen in der Erwin-Gruppe keine agonistischen Interaktionen feststellen ließen, verstärkte sich das agonistische Verhalten Lenas (C) gegenüber Teufel (B), wobei sich auch Sylvia (C) beteiligte, was zu heftigen Beschädigungskämpfen führte.



Abbildung 13.60: Toko (links) und Teufel, Toko ist hier bereits sieben Jahre alt.


Am 10.01.1978 introduzierten wir Teufel (B) und ihren Sohn Toko gemeinsam in die Erwin-Gruppe. Sogleich nach Introduktion fiel auf, dass Teufel, die sich in der Don-Gruppe zuletzt nur am Boden aufgehalten hatte, in der Erwin-Gruppe sofort in die oberen Käfigbereiche kletterte. Während die neuen Gruppenmitglieder Teufel sehr „vorsichtig“ behandelten - kein anderes Tier der Gruppe nahm Interaktionen zu Teufel auf - wurde Toko sogleich von beiden Männchen, Erwin (B) und Jens (C), „begrüßt“. Anschließend bestieg Toko mehrfach Erwin und Jens und versuchte auch bei Sanga (B) aufzureiten. Nach zwei Tagen hatten Teufel (B) und Erwin (B) positiv soziale Beziehungen zueinander aufgenommen, erkennbar an sozialer Körperpflege und Kontaktsitzen, wobei die Interaktionen meist von Erwin ausgingen. Toko spielte weiterhin mit Jens, Erwin nur mit Toko. Während Sanga (B) in dieser Gruppe isoliert war, nahm Jeanette zu Erwin, Teufel und Toko Kontakt auf. Page (C) und Dunka (C) wurden von Teufel (B) und Toko (Page) bzw. von Sanga (B) (Dunka) bedroht und nahmen Randpositionen in der Gruppe ein (Abb. 5).
Am 14.01.1978 fiel auf, dass Teufel, obwohl seit geraumer Zeit gravid, Erwin, mit dem sie nun vier Tage in einer Gruppe zusammengehalten wurde, mit hochgezogener Stirn und horizontal nach hinten gezogenen Mundwinkeln ansah (Oestrusgesicht). Sie stieg anschließend zu Erwin auf den Kasten und legte sich vor dieses Männchen, worauf Erwin auf Teufel aufritt. Dieses Verhalten konnte jedoch nur einmal beobachtet werden (s. u.).
Als letztes Tier der ehemaligen Erwin-Gruppe introduzierten wir die seit dem 05.01.1978 allein mit ihrer Tochter Kim gehaltene Ama (B) am 15.01.1978 zur Erwin-Gruppe, der damit zusätzlich Käfig 4 gegeben werden konnte. Gleichzeitig bekamen hierdurch alle Mitglieder dieser Gruppe auch die Möglichkeit des Gitterkontaktes zur Bubi-Gruppe. Nach Öffnen des Verbindungsganges zwischen den Käfigen 4 und 5 lief Ama (B) sofort zur Erwin-Gruppe und nahm dort schon nach kurzer Zeit sozialen Sitzkontakt zu Teufel (B) auf. Toko dagegen lief in den Käfig 4 an das Gitter zur Bubi-Gruppe, wo er von mehreren Mitgliedern dieser Gruppe „begrüßt“ wurde. Dabei umarmten sich die Tiere und betasteten gegenseitig ihre Genitalien. Zugleich wurden laute Begrüßungsschreie ausgestoßen. Nach dieser Begrüßung lief Toko zu dem neu introduzierten Weibchen Ama (B), betastete es und versuchte aufzureiten. Im Folgenden nahm Ama (B) dann auch positiven Kontakt zu Sanga (B) auf. Sanga saß dabei häufig neben Ama und ließ sich von Ama putzen. Der positive Kontakt von Erwin (B) und Jens (C) zu Toko bzw. von Erwin zu Teufel ließ nach Amas Introduktion nach, auch nahmen Erwin (B) und Jens (C) keinen weiteren Sozialkontakt zu anderen Tieren auf, wodurch sie eine isolierte Position innerhalb der Gruppe einnahmen.39 Bereits am Abend des 16. 01. 1978 konnten wir beobachten, wie Kim alleine in der neuen Gruppe umherkletterte. Da nach unseren Beobachtungen alle Jungtiere in Gefahrensituationen auf dem Rücken ihrer Mütter bleiben bzw. zu diesen flüchten, musste wohl schon hier eine eindeutige Klärung stattgefunden haben.
Da die Erwin-Gruppe nach Introduktion von Ama vor dem Auseinanderfallen war, wir hätten alle drei Individuen des C-Importes, Page, Dunka und Jens, isolieren müssen, introduzierten wir bereits am 17.01.1978 das Weibchen Lena (C) aus der Don-Gruppe. Die erste Zeit nach der Introduktion hing Lena fast ausschließlich am Verbindungsgitter zu Käfig 6. Nach etwa 15 Minuten bewegte sie sich auch vorsichtig auf dem Klettergerüst in Käfig 5, floh anfangs jedoch, wenn ein anderes Mitglied der Erwin-Gruppe sich näherte, sofort an das Gitter zu Don und Sylvia. Allmählich blieb Lena (C) bei Jens (C) Annäherungen auch sitzen und nahm nach etwa einer halben Stunde den ersten Sozialkontakt zu diesem Männchen auf, der sich allerdings auf Kontaktsitzen beschränkte. Über Jens schloss sich Lena (C) auch Page (C) und Dunka (C) an.40 In den der Introduktion folgenden Tagen verringerten sich Lenas (C) soziale Beziehungen zu Page (C) und Dunka (C), sie nahm nun Kontakt zu Teufel (B) und Erwin (B) auf. Während Page (C) zunehmend häufiger sozialen Kontakt zu Ama (B), Teufel (B) und Sanga (B) unterhielt, blieb Dunka (C) innerhalb der Gruppe isoliert und wurde auch besonders häufig von Ama (B) und Teufel (B) bedroht.
Am 22.01.1978 introduzierten wir Sylvia (C) in die Erwin-Gruppe. Zunächst ergaben sich keine Gruppenveränderungen. Sylvia nahm sogleich zu fast allen Tieren, mit Ausnahme von Dunka (C), Page (C) und Erwin (B), sozialen Sitzkontakt auf. Agonistisches Verhalten konnte während der ersten Stunden nach Sylvias Introduktion nicht beobachtet werden. Zwei Tage nach Sylvias Introduktion zeigte sich jedoch erneut eine Tendenz zur Untergruppenbildung. Sylvia (C) schloss sich mehr und mehr Lena (C) und Jens (C) an; dementsprechend ließen auch die anfangs beobachteten Interaktionen zu anderen Gruppenmitgliedern nach. Weiterhin reduzierte Page (C) wieder ihre Kontakte zu Sanga (B), Teufel (B) und Ama (B) und hatte erneut häufigen Sitzkontakt mit Dunka (C). Die Spaltung der Gruppe war auch im agonistischen Bereich deutlich. Lena, Jens, Sylvia, Page und Dunka und somit alle Tiere der sogenannten C-Gruppe (vgl. Tabelle 13.2) wurden verstärkt bedroht und zwar vornehmlich von Teufel, Ama und Sanga, somit von allen adulten Weibchen der B-Gruppe. Im Folgenden suchten und fanden jedoch Dunka (C) und Page (C) Anschluss an die Weibchen der B-Gruppe, während Sylvia (C), Lena (C) und Jens (C) eine eigene Untergruppe bildeten, wobei nur Toko verstärkt Spielkontakt zu Jens unterhielt. Dementsprechend waren nun auch keine agonistischen Interaktionen mehr zwischen Sanga/Ama/Jeanette und Dunka/Page zu beobachten. Allein Teufel drohte, wenn auch selten, als dominierendes Weibchen allen anderen Gruppenmitgliedern. Vergleichbar mit dem dominierenden Männchen Erwin hatte sie nur noch wenige Kontakte zu anderen Mitgliedern der Gruppe.
Den Abschluss der Integration beider Gruppen bildete am 07.02.1978 die Introduktion des seit zwei Wochen solitär gehaltenen Männchens Don. Da mit Verletzungen bei Gitterkämpfen unter den Männchen Bubi und Don zu rechnen war (s. o.), sollte der herrschende Gitterkontakt beider Gruppen noch vor der Introduktion unterbrochen werden. Deshalb setzten wir die Bubi-Gruppe in die Käfige 5, 6 und 7 um, während die Erwin-Gruppe mit dem zu introduzierenden Männchen Don die Käfige 3 und 4 erhielt.
Don drohte in der neuen Gruppe als erstes ungerichtet gegen die Bubi-Gruppe, zu ihm gesellte sich Toko, der in die gleiche Richtung drohte. Anschließend war auffallend, dass Don von allen neuen Gruppenmitgliedern - auch Toko - gemeinsam bedroht wurde. Diese saßen hierbei im Halbkreis um den in einer Käfigecke sitzenden Don herum. Don drohte daraufhin einmal zurück, beendete so die gegen ihn gerichteten agonistischen Aktivitäten und übernahm gleichzeitig unangefochten die Rolle des dominierenden Männchens in dieser Gruppe. Sylvia und Lena suchten danach sogleich Kontakt zu Don und wurden mehrfach von ihm geputzt.
Auffällig war auch eine Änderung im Verhalten Erwins. Hatte er vorher als dominierendes Männchen eine isolierte Stellung in der Gruppe, so nahm er nach Dons Introduktion zu Teufel, Ama, Sanga und Jeanette sozialen Sitzkontakt auf. Auch spielte Erwin nun häufig mit den beiden Männchen Toko und Jens, Don hingegen nur mit Toko (Abb. 9). In der neu gebildeten Gruppe waren agonistische Interaktionen nicht mehr zu beobachten. Nach den positiv-sozialen Beziehungen am Tag der Introduktion war eine Aufspaltung der Gruppe auffällig, nämlich (1) Page (C)/Dunka (C), die völlig isoliert in der Gruppe waren und nur zu Don Kontakt hielten. (2) Don/Lena/Sylvia und (3) der Rest der Gruppe, also alle Tiere der ursprünglichen B-Gruppe und Jens (C), der durch Spielkontakte zu Toko und Erwin Anschluss an diese Untergruppe fand. Diese Gruppenkonstellation blieb jedoch nur einen Tag erhalten, bekam doch Sylvia in der Nacht nach Introduktion ein weibliches Jungtier, Pan (vgl. Tabelle 13.3). Sie nahm nun verstärkt Kontakte zu Ama, Sanga und Jeanette auf, wodurch sich ihre Beziehungen zu Lena und Don verringerten. Am 26.02.1978 wurde in der Gruppe noch die Teufel-Tochter Isis (vgl. Tabelle 13.3) geboren.
In die Don-Gruppe integrierten wir zudem ab dem 16.03.1978 die handaufgezogene Teufel-Tochter Edith41 und im Laufe des Jahres 1978 sukzessive Erna (mit ihrer Tochter Claudia), Iggo, Purzel, Baja und Tschiggo. So erreichten wir durch diese Experimente zwei mehr oder weniger stabile Gruppen. Die Don-Gruppe bestand Ende 1978 aus 22 Individuen, 16 Wildfängen und sechs bei uns geborenen Jungtieren. In beiden Gruppen wurden weitere Jungtiere geboren (vgl. Tabelle 13.3)42 Unsere Erfolge (s. o.) bestätigten im Nachhinein unser Vorgehen. Bevor wir auf einige Resultate näher eingehen, sei nur betont, dass diese Gruppen bis zum Ende der Kapuzinerhaltung (1996) bestanden und dass über die Jahre die Präferenz für Individuen des selben Importes - wenn auch nicht mehr so deutlich - aufzeigbar waren.
In der Bubi-Gruppe, die dann versuchsbedingt und ohne Zwang mehrfach verkleinert wurde, blieb Bubi unangefochten bis 1982 dominierendes Männchen.



Abbildung 13.61: Sylvia mit ihrer Tochter Pan


Dann übernahm Erich diese Position.43 Erichs Ägide war aber nur kurz, ein Jahr später verlor er nach einem harten Kampf mit dem zehnjährigen Hoppediz die Position des dominierenden Männchens, Erich musste separiert werden. Die ehemalige Bubi-Gruppe wurde zur Hoppediz-Gruppe. Da unsere Untersuchungen gezeigt hatten, dass freundschaftliche Beziehungen unter Kapuzineraffen stabil sind und Bubi und Hoppediz stets freundschaftliche Beziehungen unterhalten hatten, ging ich das Risiko ein, Bubi in seine ehemalige Gruppe zu reintroduzieren. Das Experiment hatte aber wohl dramatische Konsequenzen für die in der Gruppe geborenen Kinder, worüber ich noch berichten werde, und auch für mich.44


Tabelle 13.3: Aufgezogene Jungtiere 1977 bis 1984
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-Name--------Geschlecht---Geb.-Datum-----Mutter---Grossmutter---
 Kim              f        20.08.1977      Ama
 Odin            m         31.08.1978     Migga

 Pan              f        08.02.1978     Sylvia
 Isis              f        26.02.1978     Sylvia
 Claudia          f        17.04.1978      Erna
 Daniel          m         18.09.1978     Dunka

 Dido             f        13.05.1979     Migga
 Sarah            f        25.05.1979     Sylvia
 Isabelle          f        20.06.1979     Teufel
 Christian       m         12.07.1979      Page
 Agnes            f        17.07.1979     Sanga

 Sebastian       m         12.04.1980      Inge
 Florian         m         16.08.1980     Migga
 Jonas          (m )       18.08.1980     Teufel
 Petra            f        19.09.1980     Sylvia
 Dennis          m         28.09.1980     Dunka

 Carlos          m         17.11.1980      Erna
 Sven            m         22.07.1981      Lena
 Lisa             f        28.07.1981     Sanga
 Justus          m         25.09.1981     Teufel
 Samuel          m         28.05.1982     Sylvia

 Lea              f        05.06.1982      Inge
 Manuel          m         12.06.1982     Migga
 Cesar           m         02.08.1982      Erna
 David           m         03.08.1982     Dunka
 Jessa            f        13.07.1983     Teufel

 Thomas          m         25.07.1983      Kim         Ama
 Philipp         m         24.09.1983     Sylvia
 Till            m         17.05.1984      Inge
 Dietrich        m         31.05.1984     Dunka

 Edgar           m         11.06.1984     Edith      (Teufel)
 Jesca            f        12.06.1984     Teufel
 Cris            m         30.07.1984    Claudia       Erna
 Stephanie        f        22.07.1984     Sarah       Sylvia
 Karin            f        10.09.1984      Kim         Ama
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Der Einfluss von Oestren auf das Beziehungsgefüge

Nach unseren Daten werden Kapuzinerweibchen das erste Mal im Alter von 3,8 J ± 0,4 Jahren oestrisch und werben um Männchen der Gruppe. Die ersten Geburten erfolgten im fünften Lebensjahr (s. o.). Grundsätzlich können wir, da wir unsere Affen nur beobachten, über den genauen Zeitpunkt der hormonell gesteuerten Oestren keine Auskunft geben. Unsere Daten beschränken sich stets auf den



Abbildung 13.62: Don (links) beantwortet das Werben eines Weibchens positiv, rechts neben ihm: Toko.


„Verhaltensoestrus“, also auf das protokollierte Werben mit anschließender Kopulation bzw. auch auf permanentes erfolgloses Werben. Hier haben wir unzählige Male diesen Verhaltenskomplex protokolliert. Einschränkend muss betont werden, dass offensichtlich (zumindest drei Fälle) auch gravide Weibchen oestrisch werden können, um Männchen werben und auch bestiegen werden (mit Intromissio). Diese „Scheinoestren“ sind in unserem Datenmaterial auch enthalten und können nach dem Verhalten von echten Oestren nicht diskriminiert werden. Nach diesen Daten dauert die Zeitspanne von Beginn des letzten Oestruses vor der Gravidität bis zur Geburt 157 ± 4 Tage und beträgt somit die Tragzeit mehr als 150 Tage. Werden die Weibchen nicht gravid, dann folgt sehr bald ein neuer Oestrus (Kapuzinerweibchen sind also polyoestral). Der Abstand der einzelnen Oestruszyklen betrug in 44% der Fälle im Mittel 19,7 Tage, zu 45% jedoch länger (15% im Mittel 32,1 , 10% 45,4, 15% zwischen 50 und 100 Tagen und in 5% sogar länger als 150 Tage). Zudem folgten 11% der Oestren bereits nach 15 und weniger Tagen (im Mittel 11,6 Tage), wobei wir vermuten, dass es sich bei den letzten um Scheinoestren handelt. Die meisten Oestren beobachteten wir im Januar und Februar, die wenigsten in der Zeitspanne von Juli bis Oktober.
Sabine Schulz berichtet in ihrer Examensarbeit: „Während unserer Versuche beobachteten wir eine allgemeine Zunahme des agonischen Verhaltens aller Tiere während und nach dem Oestrus eines oder mehrerer Weibchen. Schon während der Zeit des Oestrus eines Weibchens nimmt das agonistische Verhalten unter den anderen Gruppenmitgliedern zu. Bemerkenswert ist dabei, dass das oestrische Weibchen nahezu niemals bedroht wird. Dies könnte dadurch erklärt werden, dass ein Bedrohen des oestrischen Weibchens ein Bedrohtwerden von seiten des umworbenen Männchens nach sich ziehen könnte. Dies ist offensichtlich unabhängig davon, ob das Männchen auf das Werben des Weibchens antwortet oder nicht.
In der Don-Gruppe wurde z. B. regelmäßig beobachtet, dass das dominante Weibchen Sylvia versuchte, oestrische Weibchen davon abzuhalten, sich dem dominanten Männchen Don zu nähern. So näherte Sylvia sich immer wieder Don, woraufhin das oestrische Weibchen vor ihr wich. Ging Don auf das Werben ein, d. h. zeigte er die gleichen Verhaltensweisen (Oestrusgesicht, charakteristische Lautäußerung), „floh“ das Weibchen vor ihm, um sich verfolgen zu lassen, was dann in eine Kopulation einmünden konnte. Diese „Flucht“ und das „Verfolgen“ scheint obligatorisch zu sein und ist dasjenige Verhalten, das das Weibchen zu initiieren versucht.



Abbildung 13.63: Selbst Sylvia (links) und Teufel (rechts) vertragen sich als Junge tragende Mütter.


... Weiterhin stellten wir während unserer Beobachtungen fest, dass grundsätzlich oestrische Weibchen ihre Sozialkontakte zu anderen Tieren reduzieren. Das oestrische Weibchen hat keine Kontakte mehr zu irgendeinem Tier der Gruppe, es zeigt vielmehr nur noch Interesse an dem jeweils umworbenen Männchen. Oestrische Weibchen zeigen daher weder positiv soziale noch agonistische Verhaltensweisen“ (Seite 78-79). Selbst eigentlich eng befreundete Weibchen halten während der Oestrusphasen keine Sozialkontakte untereinander, hierfür gibt Sabine Schulz mehrere Beispiele.

Der Einfluss von Geburten auf das Beziehungsgefüge



Abbildung 13.64: Teufel (vorne) und Kim (hinten) halten als Mütter engen Kontakt.




Abbildung 13.65: Am fünften Lebenstag setzt die ansonsten fast bewegungslose Edith ihren Rollschwanz zum Halten ein.


Sabine Schulz berichtete auch kurzfristige Veränderungen des sozialen Beziehungsgeflechtes bei Geburten: „Grundsätzlich konnten wir beobachten, dass Mütter für alle Gruppenmitglieder attraktiv sind. Hierdurch wird verständlich, dass sich die soziale Position eines Weibchens durch die Geburt seines Kindes verbessert. Mütter haben zu Müttern in der Regel intensive Beziehungen, auch wenn sie vor den Geburten ihrer Kinder nur geringfügige (Kontakte) zueinander hatten. Waren die Beziehungen zwischen zwei Müttern schon vor den Geburten eng, so werden sie nach den Geburten noch intensiver. Während die Kontakte zwischen den Müttern erheblich zunehmen, werden die Beziehungen zu allen anderen Weibchen, zu denen die Mütter vorher Kontakte hatten, von den Müttern erheblich, oder zumindestens relativ im Vergleich zu den Beziehungen zu anderen Müttern, reduziert. Wenn die Kinder etwas größer sind und nicht mehr ständig getragen werden, werden die Beziehungen zwischen den Müttern wieder zunehmend geringer, bis sie wieder die Stärke erreicht haben, die schon vor den Geburten beobachtet wurde“ (Seite 80). Diese Ergebnisse belegt Sabine Schulz mit zahlreichen detaillierten Beispielen.

Erste Ergebnisse zur frühen postnatalen Entwicklung

Im zweiten Teil dieses Kapitels werde ich detailliertere Angaben zur Entwicklung der Jungtiere angeben, hier also nur die Befunde, die wir bei den Kapuzineraffen-Beobachtungen nebenbei erhoben haben. Neugeborene Kapuziner sind völlig hilflos und halten sich in den ersten drei Lebenswochen mit Ausnahme kurzer Saugzeiten überwiegend mehr oder weniger bewegungslos auf dem Rücken der Mutter auf (dabei quer zur Längsrichtung der Mutter orientiert). Im ersten Lebensmonat verlassen sie ihre Mütter nicht. Die einzigen Aktivitäten, die wir beobachten können, sind Saugen, Umherschauen, Sichkratzen, Klettern auf der Mutter und Aufrichten auf der Mutter (ab dem Alter von zwei Wochen). Unabhängig hiervon klettern sie jedoch - wenngleich äußerst unbeholfen - bereits im Alter von 22 Tagen (bei zwei Jungtieren in unserer Kolonie beobachtet) auch auf den Rücken von gemeinsam mit der Mutter ruhenden Artgenossen. Sie werden aber von diesen zu diesem Zeitpunkt noch nicht getragen.45 Ab dem zweiten Lebensmonat - die Jungen werden nun überwiegend längs zur Körperlängsachse getragen und sind auch lokomotorisch aktiver (lösen sich auch schon häufig mit einer Extremität von der Mutter, um zu manipulieren) - können wir regelmäßig das Tragen durch andere Tiere (ältere Geschwister, Weibchen und Männchen) beobachten, wobei es sich jedoch stets um ein mit der jeweiligen Mutter „befreundetes“ Individuum handelt. Im Alter von 29 bis 57 Tagen sitzen die Jungen erstmals neben der Mutter (dabei engen Körperkontakt haltend). Ein Alleinsein beobachteten wir zwischen dem 34. und 53. Lebenstag zum ersten Mal, zwischen dem 51. und 69. Tag dann regelmäßig. Kontakt zu anderen Artgenossen nehmen die Jungtiere aktiv zwischen dem 58. und 87. Lebenstag auf. Das selbständige Klettern und die Aufnahme festen Futters beobachten wir erstmals im zweiten Lebensmonat. Der enge Kontakt zur Mutter dauert unabhängig von der zunehmenden lokomotorischen Reifung bis zum Ende des sechsten Lebensmonates (zum Schlafen und bei Gefahr wird der Rücken der Mutter aufgesucht). Darüber hinaus werden die Jungen auch noch im elften Lebensmonat gelegentlich gesäugt.
Betrachten wir nun die sozialen Interaktionen der Jungtiere zu anderen Gruppenmitgliedern, dann sind, bedingt durch deren Unbeholfenheit und ständiges Angewiesensein auf die Mutter, erwartungsgemäß die Kapuzinerkinder anfänglich nur „Empfänger“ sozialer Interaktionen. In den ersten Lebensmonaten sind für den kleinen Kapuziner die passiven Kontakte zu seinen Geschwistern besonders auffällig. Anfänglich - im ersten Lebensmonat - sind an ihm vor allem nächstältere Geschwister - unabhängig von deren Geschlecht - und ältere Schwestern interessiert. Kontakte zu älteren Brüdern sind erst ab dem zweiten Lebensmonat bemerkenswert.46 Hier werde ich noch speziellere Befunde vorstellen (s. u.).
Im dritten Lebensmonat suchen nun die Jungtiere selber den Kontakt zu Geschwistern.47 Im Alter von vier Monaten48 werden sie attraktiv für Individuen des gleichen Jahrganges, deren Nähe sie dann im fünften Lebensmonat aktiv suchen. Ab diesem Zeitpunkt sind auch verstärkt von adulten Männchen ausgehende Sozialkontakte zu beobachten. Hier ist es in der Regel ein ganz bestimmtes Männchen, dass zu dem jeweiligen Jungtier Kontakt aufnimmt. Dieses Männchen ist dann auch der nach unseren Beobachtungen mögliche Vater, den wir - da Vaterschaftsausschlüsse bisher noch nicht geleistet wurden - vorerst als „psychischen Vater“ bezeichnet haben. Gerade zu diesem Männchen nimmt dann das entsprechende Jungtier im sechsten Lebensmonat selbst Kontakt auf. Gleichzeitig ist in diesem Lebensmonat erstmals auch zu beobachten, dass die Jungtiere neue Sozialpartner wählen, suchen sie doch aktiv den Kontakt zu einem Jahr älteren - nichtverwandten - Juvenilen (s. u.).

Zur Sozialstruktur

Zur Sozialstruktur ist besonders bemerkenswert, dass bei Kapuzinergruppen Rangordnungen - wie wir sie von vielen catarrhinen Spezies kennen - als Regulationsmechanismen des Gruppenzusammenhaltes nicht beobachtet werden können. Die Gruppe beruht hier ausschließlich auf der Ausgewogenheit der sozialen Beziehungen.
Für das komplexe Netzwerk der sozialen Beziehungen konnten zehn „Regeln“ angegeben werden, die sich in jeder möglichen Gruppenkonstellation wiederfinden lassen.
Regel 1: In jeder Kapuzinergruppe gibt es ein dominierendes Männchen und ein dominierendes Weibchen.
Regel 2: Das dominierende Männchen isoliert sich aktiv von dem Rest der Gruppe. Unabhängig hiervon ist es das attraktivste Tier für alle anderen Gruppenmitglieder.



Abbildung 13.66: Das dominierende Männchen (Don) ist attraktiv für alle Gruppenmitglieder.


Regel 3: Das dominierende Weibchen zeigt ebenfalls Tendenzen, sich von den übrigen Tieren zu separieren. Es versucht, besondere Beziehungen zu dem dominierenden Männchen aufzubauen und alle anderen Tiere, die sich dem dominierenden Männchen nähern, zu vertreiben.
Gerade die ersten drei Regeln gewannen wir bei den Gruppenbildungsexperimenten, bei Beobachtungen an Gruppen mit unterschiedlicher Zusammensetzung der Beteiligten und dementsprechend häufig zu beobachtenden Änderungen der sozialen Positionen einzelner Gruppenmitglieder (s. o.). Bei dem möglichen Verlust der dominierenden Position änderte sich nämlich auch das übrige Verhalten des Individuums. Männchen, die vorher mehr oder weniger außerhalb der Gruppe standen, waren nun wieder an dem Geschehen innerhalb der Gruppe beteiligt. Auch der umgekehrte Prozess, dass Männchen plötzlich dominierend werden, konnte mehrfach beobachtet werden.



Abbildung 13.67: Hoppediz wurde in der Bubi-Gruppe das dominierende Männchen.


Das dominierende Kapuzinermännchen kontrolliert die Gruppe nun aber nicht - wie ein Alpha-Männchen der Makaken (vgl. Kapitel 14), das alle Interaktionen beeinflusst und bei Gruppenauseinandersetzungen interveniert - es ist vielmehr ein Orientierungspol für die anderen ohne großen Einfluss auf das Gruppengeschehen. Ihm kommen sicherlich Aufgaben bei der Verteidigung der Gruppe gegenüber Individuen der gleichen Art zu (und in Menschenobhut auch gegenüber dem menschlichen Beobachter). Insofern sitzen auch die jeweiligen dominierenden Männchen in der Peripherie der Gruppe und orientieren sich an den anderen Gruppen, deren Interaktionen sie „kommentieren“. Entscheidend für die dominierende Position ist offensichtlich nicht, so lehrte uns Bubi, die physische Stärke, vielmehr ist von hoher Wichtigkeit das „Sich-dominierend-fühlen“ und das „Als-dominierend-angesehen-werden“. Dominierende Männchen bewegen sich ohne Furcht vor anderen, weichen bei keiner Gefahr und reagieren nicht auf das Bedrohen durch andere.
Das dominierende Weibchen hat keine so exponierte Position wie das dominierende Männchen. Es ist das Weibchen, das alle Auseinandersetzungen für sich entscheidet. Ganz im Gegensatz zu der hohen Attraktivität des dominierenden Männchens meiden alle anderen Tiere seine Nähe. Einige Beobachtungen sprechen dafür, dass man auch im weiblichen Geschlecht, um dominierend zu sein, sich dominierend fühlen muss, wie ich oben ausgeführt habe.
Jedes dominierende Weibchen versucht, sich das dominierende Männchen exklusiv zu sichern, so intervenieren dominierende Weibchen bei Annäherung oestrischer Weibchen. Erst wenn das oestrische Weibchen es geschafft hat, das dominierende Männchen zum Nachfolgen zu bewegen, bleiben die Interventionen unbeachtet bzw. werden eingestellt. Wir haben den Eindruck. dass dominierende Weibchen versuchen, eine Paarbeziehung aufzubauen, was ihnen aber - wegen des Desinteresses des dominierenden Männchens - nicht gelingt.



Abbildung 13.68: Dunka und Sanga




Abbildung 13.69: Juvenile Kapuzineraffen halten enge Kontakte.




Abbildung 13.70: Mütter putzen andere Mütter, hier putzt Ama (rechts) Teufel (links).




Abbildung 13.71: Subadulte Männchen spielen gerne (Kampfspiel).




Abbildung 13.72: Kampfspiel, Fortsetzung


Regel 4: Der Rest der Gruppe gliedert sich in Untergruppen. Eine Untergruppe basiert auf Zweier- oder Verwandtschaftsbeziebungen, wobei jedes Tier mehr als eine Zweierbeziehung eingehen kann.
Regel 5: Zweierbeziebungen und Untergruppenbeziehungen sind sehr stabil und bleiben erhalten, auch wenn sich die Gruppenzusammensetzung ändert.
Anfänglich konnten wir in unserer Kolonie nur Untergruppen beobachten, die auf Zweierbeziehungen beruhten. Diese waren äußerst stabil. Geht ein Individuum mehrere Zweierbeziehungen zur gleichen Zeit ein, dann entstehen größere Untergruppen. Dabei ist es nicht zwingend, dass dann auch alle Tiere miteinander interagieren. Eventuell ist eines der Individuen so attraktiv, dass es mehrere Partner über Zweierbeziehungen bindet. Wir konnten in der Vergangenheit mehrere Typen solcher Beziehungen beobachten, so können Zweierbeziehungen auf der gleichen sozialen Situation (gemeinsames Verfolgen bzw. gemeinsames Verfolgtwerden) beruhen oder aber auf „Freundschaften“. Nur die letztgenannten Zweierbeziehungen sind langfristig stabil. Untergruppenbeziehungen beruhen auf den sozialen Interaktionen der Weibchen. Männchen mit grundsätzlich weit lockerer Untergruppenbindung (s. u.) zeigen gegenüber den Untergruppenpartnern das nämliche Verhalten wie Weibchen untereinander: Kontaktsitzen und gegenseitige Körperpflege.
Regel 6: Wird eine Kapuzinergruppe durch fremde Tiere vergrößert, können zwei verschiedene Untergruppen gemeinsam eine neue Untergruppe bilden.
Unsere Experimente während dieser Jahre haben mehrfach gezeigt, dass es relativ leicht möglich ist, in bestehende Gruppen neue Tiere zu introduzieren. Kapuzinergruppen sind also weit weniger geschlossen als z. B. Makakengruppen. Bei letzteren könnte der Ausgang (der Neuankömmling wird massiv bedroht und angegriffen, vgl. Kapitel 14) vorhergesagt werden, bei den Kapuzineraffen jedoch sind Prognosen grundsätzlich nicht möglich. Generell konnten wir drei verschiedene Konsequenzen einer Introduktion beobachten. Entweder wird der Neuankömmling (1) gleich massiv bedroht (und muss dann wieder separiert werden) oder aber er kann mehr oder weniger unbedroht in der Gruppe bleiben. Findet er nun (2) dort Anschluss an eine Untergruppe, die „nichts zu sagen hat“, dann hat die Introduktion keinen Einfluss auf die generelle Struktur des Sozialgefüges. Er kann aber auch (3) selber dominierend werden, Anschluss an eine dominierende Untergruppe finden (diese dadurch zu sehr verstärkend) oder aber auch durch seinen Anschluss eine vorher nicht dominierende Untergruppe zu der oder zu einer der dominierenden werden lassen, dann hat seine Introduktion dramatische Folgen, die zur völligen Umorientierung der Gruppe führen können. Vorher bedrohte periphere Individuen drohen nun selber und umgekehrt.
Regel 7: Im Gruppenalltag präferieren adulte Männchen den Kontakt mit adulten Männchen, adulte Weibchen denjenigen mit adulten Weibchen und Juvenile - unabhängig vom Geschlecht - denjenigen mit Juvenilen und auch mit adulten Männchen.
Regel 8: Sozialkontakte unter Männchen und unter Juvenilen bzw. zwischen Männchen und Juvenilen sind vornehmlich Spielkontakte. Dabei spielen Männchen and Juvenile auch mit Männchen und Juvenilen anderer Untergruppen. Kampfspiele zwischen Männcben beruhen auf Zweierbeziehungen, wobei ein Tier mit zwei anderen Tieren zur gleichen Zeit spielen kann.
Noch in der provisorischen Kapuzinerhaltung mussten wir erkennen, dass die Regel 7 in der hier formulierten Form nicht mehr uneingeschränkt gilt, so lernten wir, dass alle Männchen unserer damaligen Kolonie - mit Ausnahme von Bubi und Don - jungadult waren. Volladulte Männchen separieren sich generell von anderen Volladulten und neigen dazu, relativ wenig untereinander zu interagieren.49 Sie bleiben aber für jungadulte und juvenile Männchen von höchster Attraktivität. Ansonsten gelten beide Regeln weiterhin. Gerade beim Kampfspiel, der vornehmlichen Aktivität, finden wir wiederum, wie bei den Untergruppenbeziehungen, die Beschränkung auf die Dyade. Dabei können wir auch beobachten, wie ein Tier gleichzeitig mit mehreren anderen spielt, es kämpft den einen Spielpartner nieder, wendet sich dem zweiten zu und umgekehrt. Zeigen nun zwei Tiere das nämliche Verhalten, können auch größere Spielgruppen entstehen, von vier bis sechs Individuen. Neben dieser Spielform finden wir auch den sogenannten „Arena-Kampf“, den gerade Don manchmal in den Abendstunden zeigt, dabei hüpft er biped mit ausgestreckten Armen am Boden herum und wird von nahezu allen Juvenilen angegriffen bzw. greift diese auch selber an. Wenn er dann, ein schweres ausgewachsenen Kapuzinermännchen, auf ein z. B. einjähriges Jungtier hüpft, mehrfach auf diesem auf- und abspringt, gewinnt der Beobachter leicht den Eindruck, dass dieses malträtiert wird. Der junge Kapuziner scheint dies hingegen anders zu empfinden; mühsam Don entkommen, springt er diesen erneut an, um entsprechendes wieder zu initiieren. Der abendliche „Arena-Kampf“ mit teilweise mehr als zehn Beteiligten ist das Eindrucksvollste, was unsere Kapuziner demonstrieren.
Regel 9: Die sozialen Kontakte der Weibchen sind vor allem Kontaktsitzen mit anderen Weibcben und gegenseitige soziale Körperpflege. Soziale Körperpflege zwischen Weibchen verschiedener Untergruppen sind sehr selten.
Regel 10: Kapuziner verteidigen die Mitglieder ihrer eigenen Gruppe oder Untergruppe gegenüber Fremden. Dabei ist ein Gruppenbewusstsein aufzeigbar.
Diese Leistung der Kapuziner ist auch - wie schon oben angegeben - die Voraussetzung für die Bildung von größeren Gruppen gewesen. Die Kapuziner sind sich ihrer komplexen Struktur offensichtlich bewusst. Bei Konfrontation mit einem gemeinsamen Feind (eine fremde bedrohliche Person, ein Hund etc.) wird dieser von allen Gruppen gleichzeitig bedroht, ansonsten bedrohen sich die Gruppen bzw. die Untergruppen einer Gruppe untereinander. Bedingt durch das gleichzeitige Halten mehrerer Gruppen in einem Raum, also durch die Anwesenheit der Gruppenfeinde, wird in Kassel das Auseinanderfallen der Gruppen verhindert, dieser Prozess dürfte vergleichbar mit Freilandbedingungen sein. Ohne äußere Feinde würde nach unserer Einschätzung jegliche Gruppenkonstellation langfristig zum Paar bzw. zur Kleinfamilie führen, da Weibchen sich dann gegenseitig verdrängten.

Die soziale Stellung der Juvenilen

Auch zur sozialen Stellung der Jungtiere werde ich noch im zweiten Teil detailliertere Angaben leisten. Da bei Kapuzinern, wie schon betont, Rangordnungsstrukturen nicht zu finden sind, jedes Kapuzinerkind aber eine bestimmte soziale Stellung erhält, interessierte uns besonders, welche Einflüsse auf das in der Gruppe geborene Jungtier einwirken bzw. welche von diesem selber gegen andere Gruppenmitglieder gerichtet sind. Zur Lösung dieses Fragenkomplexes beobachteten wir seit 1981 im Rahmen einer von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Längsschnittstudie zum Sozialverhalten von Cebus apella neben der Gruppe nun auch bestimmte Einzeltiere und protokollierten genauestens alle ihre Interaktionen mit den übrigen Gruppenmitgliedern. Durch das tägliche kontinuierliche Beobachten von Individuen beiderlei Geschlechts, beginnend mit der Geburt bis zum Adultwerden, konnten wir die Parameter bestimmen, die für die spätere soziale Stellung der Jungtiere verantwortlich sind (s. u.).
Nach den bisherigen Beobachtungen und den Daten zur frühen postnatalen Entwicklung (s o.) konnten einige Befunde als gesichert gelten. So interagierten - unabhängig von Alter und Geschlecht - alle in der Gruppe geborenen Jungtiere mit ihren Müttern und Geschwistern, wobei die Anzahl der sozialen Kontakte zu einigen oder allen Verwandten die zu anderen Mitgliedern der Gruppe übertraf. Darüber hinaus bevorzugten grundsätzlich alle Juvenilen den Kontakt zu Tieren des gleichen Altersbereiches, interagierten also verstärkt mit gleichalten, ein Jahr älteren und ein Jahr jüngeren Individuen. Entsprechend nahmen auch die Interaktionen zu Geschwistern mit zunehmendem Altersabstand ab.
Kontakte zu nichtverwandten Adulten scheinen nach ihrem quantitativen Auftreten generell nicht bemerkenswert, interagieren doch Juvenile aller Altersstufen nahezu ausschließlich nur mit Kontaktpartnern der Mutter, wobei sie hier - während der ersten Lebensjahre - passive Partner der jeweiligen Zweierbeziehungen sind. Mit zunehmendem Alter jedoch (ab dem dritten Lebensjahr) können die entsprechenden Kontakte (vor allem Sitzkontakte und soziale Körperpflege, also Verhaltensweisen, die - wie schon betont - für die Struktur der Gruppe, für Untergruppenbildungen verantwortlich sind) sogar quantitativ diejenigen der Mutter zu dem jeweiligen Individuum übertreffen. Der Sozialpartner der Mutter wird nun also der Sozialpartner des Kindes. Bisher konnten wir entsprechendes nur zwischen Individuen unterschiedlichen Geschlechtes beobachten, d. h. das junge Weibchen präferiert den „Freund“ der Mutter, das junge Männchen hingegen deren „Freundin“.

Sonstige bemerkenswerte Befunde

Durch Bubi wurde ich nicht nur zum vermeintlichen „Affenzauberer50“, vor allen ihm (und den anderen Kapuzinermännchen) verdanken wir auch die Klärung einer Vokalisationsform, die im normalen Kapuzinerleben selten zu beobachten ist und von uns als „Begrüßungsgeschrei“ bezeichnet (und von Nolte ([149]) richtig als „Freudengeschrei“ interpretiert) wird. Sowohl Noltes Pablo als auch unser Bubi verwenden es vor allem bei der Begrüßung ihnen vertrauter oder attraktiver Personen.51 Es ist wohl derselbe Vokalisationstyp, den Dobroruka 1972 ([37]) als „the flute-like call p-ru-pju-uiu-uiu-uiu-u“ beschrieben hat. Er wurde beobachtet als ein Kapuziner entkam und nach der Annäherung an den Käfig (nach unserer Interpretation) seine Artgenossen begrüßte. Weigel ([231]) schließlich ordnete den sogenannten „open mouth staccato beep“ als Verteidigungsdrohen dem agonistischen Verhalten zu. Wir wissen nun, welche Bedeutung dieser Vokalisationstyp hat. Normalerweise ist er zu beobachten, wenn Männchen nach längerer physischer Trennung das erste Mal wieder Kontakt bekommen, dann geben sie ihn (sehr laut) von sich, fassen sich dabei eventuell auch gegenseitig an den Körper und an die Genitalien. Auch Weibchen können sich an dieser Begrüßung beteiligen. Wir können ein solches Geschrei experimentell hervorrufen, indem wir zwei Gruppen, die keinen Gitterkontakt haben, Zugang zu benachbarten Käfigen verschaffen. In der neuen Primatenstation (13.2.2) konnten wir es dann später täglich hören (s. u.).
Interessante Einsichten in das Kapuzinerverhalten erbrachten auch ungewollte Exkursionen unserer Tiere, die unermüdlich im Zerstören ihrer Käfiganlage relativ häufig neue „Schwachstellen“ sichtbar machen, indem sie ihre Käfige verlassen und den Haltungsraum erkunden, wobei sie nicht nur in der Lage sind, die Klimadecke zu öffnen und für uns vorerst unsichtbar zu werden. Sie zeigen Versäumnisse der Tierpfleger - eine nicht richtig verschlossene Tür oder aber auch das Vergessen nur eines Sicherheitsschlosses - umgehend auf. Das Entkommen im Käfigraum führt zwar zu erheblichen Zerstörungen, ist aber grundsätzlich unproblematisch, da es uns in der Regel sehr schnell gelingt, den Flüchtling wieder einzufangen. Erwähnenswert ist hier, dass einmal auch Hoppediz entkam und im Raum herumsprang. Ich war anwesend und gab sofort die Anordnung, die noch offene Käfigtür zu schließen, um vorerst alle anderen Affen zu sichern. Sekunden später sprang Hoppediz jedoch in weiten Sätzen herbei, sprang über die Köpfe der vor dem Käfig Stehenden an diesem herunter und öffnete seinen Käfig von außen und floh in diesen zurück. Er hatte also offensichtlich nicht nur durch Versuch und Irrtum das Öffnen des Käfigs gelernt, vielmehr hatte er das Prinzip „Türriegel“ völlig verstanden.
Weitaus problematischer dagegen ist es, wenn sich die Außengehege als nicht gesichert oder als nicht haltbar erweisen. Unsere ersten Kapuziner, die in das Freie entkamen, drangen glücklicherweise in die Innenräume der Affenanlagen ein und besuchten uns in der Küche. Auch die meisten anderen Exkursionen im Freien konnten wir schnell beenden. Einmal war jedoch sechs Kapuzinern der Ausflug in die Umgebung geglückt, so dass wir uns auf Kapuzinerfang einrichten mussten. Die Kapuziner waren nämlich, zumindest teilweise, von dem Dach, auf dem sich die Außengehege befanden, in die Umgebung entwichen. Glücklicherweise gelang es uns, unterstützt von hilfreichen Mitarbeitern (wobei unser Hausmeister Horst Schwedes sich besonders hervortat), drei Kapuziner sukzessive in Räume der Hochschule zu jagen. Primus konnten wir so in einem Arbeitszimmer, Jens im Eingangsbereich der Hochschule und Lisa in einem Fahrstuhl des Mensagebäudes einfangen. Erwin wurde schließlich auch gesichtet, er untersuchte bzw. zerstörte gerade eine ca. 30 Meter hohe Weide. Seine weiten Sprünge waren wunderbar zu beobachten. Gleichzeitig wurde uns auch schon damals bewusst, wie schwierig im Freiland das Beobachten sein dürfte, identifizierten wir doch den so markanten unverwechselbaren Erwin nur sicher über eine Negativliste (alle anderen adulten Männchen waren in der Anlage). Alle Versuche, Erwin zum Absteigen zu bewegen, scheiterten. Schließlich mussten wir die Feuerwehr um Hilfe bitten. Die Feuerwehrleute gingen davon aus, dass Erwin handzahm und „herunterzuholen“ sei. Unser Anliegen, ihn „irgendwie“ zum Herunterklettern zu bewegen, verstanden sie bald, überzeugte doch Erwin schnell, dass es nicht einfach ist, einen adulten Kapuzinermann einzufangen, so sprang er in großen Sätzen von einer Seite der Krone zur anderen. Schließlich gelang es den Feuerwehrleuten durch ständiges gezieltes Anlegen der Leiter Erwin so zu bedrohen, dass er den Abstieg bzw. den Absprung einem weiteren Verweilen vorzog. Sobald Erwin den Boden erreicht hatte, gelang es uns, ihn in Richtung Hochschule zu jagen, wo er in einem undurchdringlichen Gebüsch verschwand. Verstärkt durch Kinder der Siedlung suchten wir nun das Gebüsch systematisch ab und sichteten ihn auch mehrfach, obgleich er stets sehr schnell erneut unseren Blicken entschwand. Schließlich war er so zornig und wohl auch erschöpft, dass er, statt zu fliehen, uns angriff, wodurch einer der hilfsbereiten Feuerwehrleute ihn im Netz fangen konnte. Der vierte Ausbrecher konnte zurückkehren. Die letzten beiden noch fehlenden Kapuziner, Isabelle und Sarah, orteten wir schließlich in unserem Kistenlager versteckt, es gelang uns, sie von dort sukzessive in das Affenhaus zu jagen, wo wir sie schließlich in ihre gewohnten Räume zurückbringen konnten.
Komplex gestalteten sich auch Lernexperimente. Studenten hatten die Aufgabe gestellt bekommen, einfache Lernversuche durchzuführen. Zwei von ihnen, Cornelia Steiner und Elke Erbe-Grünkorn52 dachten sich folgenden Versuch aus. Sie deckten zwei Futternäpfe mit Brettern ab, auf denen eine bestimmte Anzahl von Punkten gezeichnet war. Gleichzeitig fertigten sie Schilder, auf denen ebenfalls verschiedene Punkte angebracht waren. Ihre Idee war folgende, sie wollten den Kapuzinern beibringen, dass die Punktzahl, die sie hochhalten und zeigen, auch belohnt wird. Über die Komplexität des zu protokollierenden Lernversuches waren sie sich nicht im Klaren, Einwände fanden kein Gehör. Bereits in der ersten Sitzung griffen die Kapuziner wider Erwarten signifikant richtig. Doch ab der zweiten Sitzung hatten sie gelernt, dass es offensichtlich viel einfacher ist, beide Näpfe schnell hintereinander zu öffnen, anstatt sich auf das Gezeigte zu konzentrieren. Cornelia Steiner und Elke Erbe-Grünkorn benötigten dann allein ein ganzes Semester, um durch mühevolle Änderungen am Versuchsaufbau, das Ergebnis des ersten Tages zu verifizieren.

Der Ausblick nach zehnjähriger Haltung

Wir schlossen unseren damaligen Befunde (1983) mit einem Ausblick: „In den nächsten Jahren werden mit großer Wahrscheinlichkeit weitere Kinder, auch der zweiten Generation in Menschenobhut, geboren und aufgezogen werden. Wir werden also die Möglichkeit erhalten, zu prüfen, ob es so etwas wie Großeltern, Tante und Onkel auch bei unseren Kapuzinern gibt bzw. ob diese für das Individuum Bedeutung haben. Darüber hinaus werden Feinanalysen zeigen, wodurch die soziale Stellung des Individuums bedingt wird und was für den Einzelnen attraktiv und unattraktiv ist. In der nächsten Zukunft hoffen wir auch aufzeigen zu können, welche Bedeutung gerade dem biologischen Vater zukommt und ob es Paarbindungen unter Kapuzinern gibt oder nicht. Unabhängig von diesen erhofften Resultaten der nächsten Zeit sammeln sich exakte lückenlose Daten über Individualentwicklungen dieser hochinteressanten Affenart, die uns viele Informationen über die Komplexität der Sozialstruktur liefern werden“ ([277], Seite 125). Viele Antworten werde ich im folgenden Teil des Kapitels geben können.
Bevor ich Daten aus der Primatenstation berichte, möchte ich noch Befunde zum Vater bei Kapuzineraffen vorstellen, die wir in der provisorischen Haltung erhoben hatten. Darüber hinaus gebe ich Informationen zu unserem Umgang bzw. zum Umgang der Kapuzineraffen mit physischen Verletzungen.

Der Vater bei Kapuzineraffen

Im August 1983 besuchte uns Leobert E. M. de Boer aus Rotterdam, gemeinsam mit Studenten und erfahrenen Mitarbeitern des Rotterdamer Zoos. Gemeinsam mit mir fingen sie mit Ausnahme von Kim53 alle Kapuzineraffen ein und entnahmen Blutproben für serogenetische Untersuchungen. Diese Untersuchungen waren Bestandteil der Dissertationsarbeit von Frank Princée ([169]). So hatten wir und speziell Petra Pippert hinreichendes Datenmaterial für ihre Doktorarbeit ([153]) zur Bedeutung des „Biologischen Vaters“ bei Kapuzineraffen. Für ihre Analysen standen ihr neben den Befunden von Princée 12045 Viertelstundenprotokolle an Einzelindividuen und 3650 Halbstundenprotokolle an der Gesamtgruppe zur Verfügung. Zu diesem Zeitpunkt bestand die Don-Gruppe aus 29, die Bubi-Erich-Hoppediz-Gruppen aus 17 Individuen. In unserer Hauptuntersuchungsgruppe, der Don-Gruppe, lebten von den ursprünglich 17 Wildfängen (s. o.) noch zehn (4 Männchen, 6 Weibchen).54
In diesem Abschnitt folge ich den Befunden von Petra Pippert.55 „Die Verwandtschaftsbeziehungen der in Kassel geborenen Jungtiere sind im Hinblick auf Mutter und Geschwister (mütterlicherseits) bekannt. Wir gehen nämlich davon aus - auch wenn wir die Geburt nicht beobachten konnten -, dass das Weibchen, das das Neugeborene am Tag nach der Geburt - spätestens dann wird es entdeckt - trägt und säugt auch die biologische Mutter ist. Da bisher pro Nacht nur ein Junges geboren wurde, ist somit auch eine Verwechselung der Neonaten ausgeschlossen.
Wir können jedoch kaum Aussagen über mögliche Väter, Geschwister oder Halbgeschwister väterlicherseits wagen, da hierzu Vaterschaftsausschlüsse56 geleistet werden müssten. Daher, insbesondere auch im Hinblick auf soziobiologische Hypothesen (...), wo dem Investment des Vaters in die Nachkommen hohe Bedeutung zugemessen wird, sollen im Folgenden mit Hilfe verschiedener Methoden Vaterschaften ausgeschlossen bzw. wahrscheinlich gemacht werden. Hierzu erscheint die Überprüfung der Solidität verschiedener Hypothesen der geeignete Weg.
Gehen wir zunächst von der Hypothese aus, dass das Männchen, das zur fraglichen Zeit mit der Mutter des zu untersuchenden Kindes kopuliert hat, bzw. um das die Mutter zur fraglichen Zeit wirbt - also während des Oestrus, in dem, bei Berücksichtigung der Tragzeitlänge, die Befruchtung stattgefunden haben muss -, dass dieses Männchen der biologische Vater ist. Die sich hieraus ergebenden Vaterschaften (beruhen) auf Kopulationen zur richtigen Zeit. (Petra Pippert gibt hier eine Tabelle an, in der für 31 Kinder der so zu ermittelnde Vater angegeben ist.) Nach diesen Daten wäre demnach das dominierende Männchen (Bubi bzw. Don) das Tier, um das am meisten geworben wird, bzw. das zur fraglichen Zeit mit dem Weibchen kopuliert. So müsste nahezu ausschließlich dem jeweils dominierenden Männchen der verschiedenen Gruppen die Vaterschaft zuerkannt werden. Dies verwundert nicht, ist doch nach unserem Wissensstand das dominierende Männchen auch das attraktivste Tier der Gruppe.



Abbildung 13.73: Kopulation, hier Noltes Pablo und Suse




Abbildung 13.74: Männchen tolerieren einander, links: Don, rechts: Iggo. Don war Teufels Sexualpartner, Iggo ihr Freund.




Abbildung 13.75: Von links nach rechts: Page, Sylvia, Don, Pan, Dunka, die Individuen des C-Transportes hielten auch nach der Fusion engere Kontakte.


Wir beobachteten jedoch auch zweimal, dass Weibchen auch während eines Oestrus mit verschiedenen Männchen kopulierten, bzw. um verschiedene Männchen warben (...). Zudem können wir davon ausgehen, dass zwischen den Beobachtungen Kopulationen stattfinden, die nicht protokolliert werden. Bei diesen sind die während der regulären Befunderhebung nach Plan regelmäßig zu beobachtenden Interventionen des dominierenden Männchens bei Kopulationen mit anderen Männchen nicht zwingend zu erwarten, da den Tieren dann Innen- und Außengehege zur Verfügung stehen (während der Beobachtungen befinden sich alle Tiere im Innenraum) und eine Sichtbarriere besteht, die das dominierende Männchen daran hindert, alle Geschehnisse in der Gruppe zu verfolgen. Diese Annahme wird durch zahlreiche Zufallsbeobachtungen gestützt.
Daher wollen wir im Folgenden mit Hilfe moderner serogenetischer Methoden überprüfen, ob eine Korrelation zwischen dem so ermittelten „Vater“ und dem biologischen Vater besteht und wollen die entsprechenden Daten vergleichend betrachten.
... Die Blutmuster wurden auf das Vorkommen elektrophoretischer Varianten von 35 Enzymsystemen untersucht (vgl. [169]). Doch erwiesen sich für die Vaterschaftsausschlüsse unserer Kapuzineraffen von den 35 Systemen nur Glukosephosphatisomerase (GPI) und Mannosephosphatisomerase (MPI) als verwendbar. (Petra Pippert gibt hier eine Tabelle an, in der für 24 Kinder die möglichen Väter nach Princé ([169]) aufgelistet sind.)
Neben den so getätigten Ausschlüssen sind jedoch noch weitere Ausschlüsse möglich. Bei dieser Tabelle ist ... noch nicht berücksichtigt, ob die entsprechenden Männchen schon als Väter, ihrem Alter nach, in Frage kommen. Nach unseren eigenen Befunden werden Kapuzinermännchen erst im Alter von 6-7 Jahren geschlechtsreif, ... Dass Männchen in diesem Alter tatsächlich geschlechtsreif werden, belegt Odin, da hier (nur) Erich oder Erwin als Väter in Frage kommen. Beide waren zum Zeitpunkt der Zeugung 6-7 Jahre alt. ...
Eine weitere Reduktion (Eingrenzung) der möglichen Väter kann durch Berücksichtigung der Gruppenhistorie, also von Zeugungstermin und Gruppenzusammensetzung durchgeführt werden. ... Eine weitere Möglichkeit, Vaterschaften auszuschließen, besteht darin, die Phänotypen von Kindern und Vätern zu vergleichen. ... Auf Grund dieser phänotypischen Unterschiede ist Bubi eindeutig der biologische Vater der Jungtiere Toko, Edith, Claudia, Florian und auch von Kim. ... Für die Individuen Dido, Sebastian, Lea und Manuel müsste dementsprechend Bubi als möglicher Vater entfallen (...), entsprechen sie doch voll dem Phänotyp von Cebus apella cay. ... Insofern können wir nun den biologischen Vater für 8 Individuen sicher bestimmen (...).
Die serogenetischen Befunde zeigen aber auch auf, wie problematisch es wäre, würden wir dem (nach unseren sorgfältigen Beobachtungsprotokollen) jeweiligen Sexualpartner der Mutter zur fraglichen Zeit (...) die Vaterschaft zuerkennen. Vergleichen wir nämlich die (damals) neuen Daten mit den Ergebnissen der Untersuchungen zum Verhaltensoestrus, dann stellen wir fest, dass die Angaben über den möglichen biologischen Vater nicht immer übereinstimmen.
So kopulierte Sanga, die Mutter von Agnes und Lisa, mit dem adulten Männchen Don, die Vaterschaft wird aber nach den Blutuntersuchungen den Männchen Iggo oder Tschiggo zuerkannt. Auch Davids Mutter Dunka kopulierte zur fraglichen Zeit zwar mit Don, von der Vaterschaft konnten aber alle Männchen außer Erwin ausgeschlossen werden. Betrachten wir die Angaben für Odin, dann ist sein biologischer Vater Erich, seine Mutter Migga warb jedoch im entsprechenden Oestrus um das dominierende Männchen Bubi.
Insofern lässt sich für unsere Kapuzineraffen eindeutig falsifizieren, dass die (beobachteten) Sexualpartner der Weibchen während der Oestren auch zwingend die Väter der später geborenen Jungtiere sind. Demnach nutzen die Oestrusdaten eigentlich noch nicht einmal, um bei mehreren möglichen Vätern einer Entscheidung über die Vaterschaften näher zu kommen. Wir wollen daher nach anderen Wegen der Vaterschaftseingrenzung suchen“ ([153], Seiten 21-30).
Petra Pippert ist dann der Hypothese nachgegangen, dass Väter verstärkt in ihre Kinder investieren, und hat für jedes in Kassel geborene Individuum die über die Jahre erhobenen Daten zur Sozialpartnerpräferenz sorgfältig analysiert. „Ziehen wir das Resümee dieser Individualbefunde, so sind zwei Schlussfolgerungen schon jetzt möglich: 1. Jedes Tier präferiert in jedem untersuchten Lebensjahr jeweils ein Männchen. 2. Offensichtlich präferieren die einzelnen Jungtiere während der (verschiedenen bis zu vier) untersuchten Lebensjahre jedoch kein bestimmtes Männchen. Die Annahme, dass das jeweils präferierte Männchen auch der Vater des entsprechenden Kindes ist, ist demnach falsifiziert“ ([153], Seiten 34-35).
„Für die Annahme des väterlichen Investments spricht daher ab dem dritten Lebensjahr wenig. Damit ist jedoch noch keine Aussage über die ersten beiden Lebensjahre gemacht. Hier müssen Gründe für das häufig auftretende eindeutige Präferenzverhalten gesucht werden. Wir müssen zunächst einmal fragen, ob es der Vater ist, der verstärkt mit seinen Kindern interagiert. (Petra Pippert konnte zeigen,) ... dass zumindest ein Drittel der nach dem Verhalten bzw. nach der soziobiologischen Hypothese als Väter in Frage kommenden Männchen die biologischen Väter nicht sein können. Bei den übrigen Jungtieren kommen zudem fast als Regel mehrere Männchen als Väter in Frage, so dass die Annahme, der biologische Vater wäre zumindest bei den restlichen zwei Dritteln auch Hauptsozialpartner, nicht hinreichend belegt werden kann.
Wir müssen demnach nach anderen Erklärungen für die beobachteten Interaktionen zwischen adulten Männchen und Kindern suchen. Überprüfen wir zunächst, inwieweit das soziale Beziehungsgefüge der Mutter Einfluss auf die Interaktionspartner des jeweiligen Jungtieres haben könnte. So unterhalten nämlich die adulten Weibchen, unabhängig davon, um welches Männchen ein Weibchen während des Oestrus wirbt, häufige Kontakte zu bestimmten adulten Männchen in der Gruppe. ... Vergleichen wir nun die präferierten männlichen Sozialpartner der Mütter mit denen der Kinder, dann stellen wir fest, dass sich diese Annahme - beide unterhalten zum gleichen adulten Männchen bevorzugte Kontakte -, bei der Betrachtung der quantitativen Befunde des ersten Lebensjahres bei 18 von 20 der für diese Analyse zur Verfügung stehenden Jungtiere bewahrheitet (...)“ ([153], Seiten 39-40).57
Dem biologischen Vater kommt also bei den Kapuzineraffen keine Bedeutung zu.58 Auch Kapuzineraffen können leider nicht lesen, sonst hätten sie sich vielleicht anders verhalten.

Verletzungen

Immer wieder habe ich von erheblichen Verletzungen berichtet, die sich bei Auseinandersetzungen im Sozialverband ergaben. Wie bereits in Kapitel 12 ausgeführt, durften verletzte Tiere im Sozialverband bleiben. Auf eine Behandlung habe ich bewusst verzichtet, hätte doch einer Behandlung mit verschiedenen Medikamenten umfangreiche Tierversuche an unverletzten Tieren vorausgesetzt, um die Risiken einer Applikation einschätzen zu können. Die Kapuzineraffen haben ein gutes Wundheilungsvermögen. Dieses unterstützen sie durch sorgfältiges Reinigen der Wunde. Hierzu setzten einige Tiere auch Werkzeug (Holzspäne) ein, um Eiter herauszupuhlen. In der Regel wurden die Wunden durch die Behandlung immer größer und flacher, dann heilte die Wunde vom äußeren Rand her sehr schnell zu. Ein „Wunder“ des Heilungsvermögens möchte ich nicht verschweigen: An einem Morgen im Jahr 1984 fanden wir Sanga mit fast völlig abgerissener linker Brust vor. Die Brust hing nur noch an einem Hautlappen. Wir haben Sanga sofort separiert und in einen kleineren Krallenaffenkäfig überführt - bei der Manipulationsbegeisterung der Kapuzineraffen war ein Verbleiben im Sozialverband nicht vertretbar gewesen, die anderen Gruppenmitglieder hätten ständig versucht, an der Brust zu ziehen. Nach der Separation rief ich sofort meine Tierärzte an und bat um Rat. Einmütig meinten diese, dass es zum Absetzen der Brust keine Alternative gebe. Überzeugt davon, dass dies Sanga besser kann als jeder Tierarzt, unternahm ich nichts. In den der Separation folgenden Wochen konnten wir fast täglich beobachten, wie die Brust sukzessive wieder anwuchs. Schließlich war Sanga „kosmetisch“ wieder völlig hergestellt. Ob die Milchsekretion noch richtig funktionierte, weiß ich nicht. Ich konnte aber Jahre später beobachten, dass ihr damals geborenes Jungtier an beiden Brustwarzen saugte und auch gesund aufwuchs. Natürlich gehen nicht alle Verletzungen gut aus, über einen dramatischen Verlust werde ich noch ausführlich berichten.

13.2.2 Die Kapuzinerkolonie 1985 - 1996

Allgemeine Befunde

Meine Absicht war es, Kapuzineraffen sozusagen „von der Wiege bis zur Bahre“ beobachtend zu begleiten. Anschließend wollte ich eine Monographie über Gehaubte Kapuzineraffen schreiben. Dieses Forschungsprojekt zu beenden, ist mir nicht vergönnt gewesen. Wir konnten aber über ein Jahrzehnt unsere Forschungsergebnisse überprüfen und auf eine breitere Basis stellen. In der neuen Primatenstation standen für die Kapuzineraffen sechs schon in den Kapiteln 11 und 12 beschriebene Haltungseinheiten zur Verfügung. Anfänglich hielten wir die Don-Gruppe in drei dieser Einheiten (ohne trennende Gitter), die Hoppediz-Gruppe in zwei Einheiten (mit trennendem Gitter), dazwischen eine Puffergruppe mit Erich als dominierendem Männchen, um so den Gitterkontakt zwischen Bubi und Don auszuschließen. Nach der Separation von Bubi (s. u.) gaben wir der Don-Gruppe auch noch den vierten Käfig hinzu. In den Außengehegen standen den Kapuzineraffen neben Sitzbrettern auch Klettergerüste zur Verfügung. In den Innengehegen verzichteten wir auf zentrale Sitzgelegenheiten völlig, da wir in der alten Haltung gelernt hatten, dass zentrale Strukturen ideal sind, um andere Tiere zu bedrohen. Vielmehr brachten wir daher an den Wänden übereinanderliegende, tiefe Ruhebretter an, so konnte ein bedrohtes Individuum durch den Sprung auf das darunterliegende Brett leicht einem Angreifer entkommen. Diese Anordnung war auch ideal für die Beobachter, konnten sie doch von unserer Beobachtungsbank aus, alle Interaktionen im Sozialverband protokollieren.
In dieser Zeit ist es uns gelungen, beide Gruppen zu erhalten. Wir haben verdrängte Individuen entnommen und in anderen Räumen der Primatenstation gehalten. Zudem habe ich später regelmäßig die jungen Nachzuchtmännchen im Alter von unter einem Jahr an den Tierhandel abgegeben (um erkennbare Haltungsprobleme der Zukunft zu vermeiden). Nur einmal habe ich ein Weibchen mit ihren Söhnen aus der Don-Gruppe entfernt, da diese das relativ friedliche Zusammenleben massiv gefährdeten.59 Die Kopfzahl beider Gruppen blieb über die Jahre stabil.
Grundsätzlich bestätigten die Kapuzineraffen unsere bisherigen Befunde mit einer wichtigen Ausnahme. Auf Freundschaften zwischen Weibchen beruhende Untergruppen gab es nicht mehr, wie an zwei Beispielen aufgezeigt sei. Teufel war von 1978 bis 1982 vornehmlich mit Page befreundet, ab 1984 hielt sie enge Kontakte nur noch zu eigenen Kindern. Sylvia war bis 1981 eng mit Lena befreundet. Nach der Separation von Lena hielt sie enge Kontakte mit der mit ihr importierten Dunka, danach nur noch mit ihren Kindern ([256]). Untergruppenbeziehungen beruhten nun auschließlich auf Verwandtschaft über die Mutter. Töchter blieben auf Dauer in der Untergruppe der Mutter, Männchen bis zum Ende des fünften Lebensjahres. Danach reduzierten diese die Kontakte zur mütterlichen Untergruppe nahezu vollständig und suchten sich eine „Freundin“ aus dem Kreis der nichtvertrauten Individuen. Mit diesem Weibchen hielten sie sehr engen Kontakt, paarähnliche Beziehungen waren die Regel.
Darüber hinaus gab es in beiden Gruppen nicht mehr „den“ dominierenden Mann. Man muss sich dabei vergegenwärtigen, dass unsere Sozialgruppen solche in Menschenobhut waren. Unter Freilandbedingungen wäre es nie möglich gewesen, dass ein Männchen - wie Don - über Jahrzehnte eine solche Position hält, vielmehr wäre es schon mehrmals in dieser Zeit durch ein von Außen kommendes Männchen ersetzt worden und hätte seine Gruppe zwangsläufig verlassen müssen. Selbst Don konnte nicht sicher sein, der Vater der Kinder des dominierenden Weibchens zu sein. Sylvia warb ab 1985 häufiger um Toko und kopulierte 1987 auch mit ihm während der Beobachtungen ([256]).
Eine scheinbar berechtigte Kritik an der Forschung zur Bedeutung verwandtschaftlicher Beziehungen in großen Sozialgruppen unter Laborbedingungen und auch unter Freilandbedingungen in geschützten Gebieten ist die Tatsache, dass unter „echten“ Freilandbedingungen die Todesraten weit höher seien, dass es dort überhaupt kaum Verwandte geben würde.60 Dieser Kritik möchte ich entgegenhalten, dass wir nicht wissen, wann in den Millionenenjahren der Evolutionsgeschichte sich das Kümmern um Verwandte (eigentlich um Vertraute ([277])) als selektionsbegünstigend herausgestellt hat. Dass man dann, wenn es unter kargen Bedingungen kaum Verwandte (über die Mutter) gibt, diese Präferenz nicht aufzeigen kann, ist banal. Ohne das Vorhandensein von Kindern z. B. ist auch das Mutter-Kind-Verhalten nicht untersuchbar. Auch dies gilt für viele Freilandgruppen, sterben doch manchmal alle Kinder. Hier würde kein Kritiker widersprechen und behaupten, eigentlich gäbe es keine Mutter-Kind-Beziehungen.

Individuelle Befunde und Schicksale

Beginnen möchte ich meinen Bericht mit Bubi. Bubi lebte nach einjähriger Trennung seit 1983 wieder in der Hoppediz-Gruppe in einem stark gegliederten Gehege (s.o.). In den Jahren der gemeinsamen Haltung kämpften Bubi und Hoppediz häufig miteinander, vermieden aber den direkten physischen Kontakt. Sie kämpften durch ein Gitter und vermieden offensichtlich die direkte Konfrontation. In der neuen Primatenstation hielten wir die Hoppediz-Gruppe wiederum in einem durch ein Gitter getrenntes Gehege. Diese Abtrennung hatte auch praktische Gründe. Bei widrigen äußeren Bedingungen (Temperaturen unter -4 Grad) konnten wir die Kapuzineraffen nicht aussperren. Durch dieses Gitter konnten wir sie dann „schieben“, die Hoppediz-Gruppe in die linke Hälfte ihres Haltungskäfigs, die Erich-Gruppe in die rechte Hälfte des Geheges und die Don-Gruppe in das Gehege der Erich-Gruppe. Ein positives Nebenergebnis dieses Zwischengitters war die Vergrößerung der Klettermöglichkeiten.61 Bubi nutzte dieses Zwischengitter wiederum zum Kämpfen mit Hoppediz. Beide saßen sich - getrennt durch das Gitter - gegenüber und bedrohten sich gegenseitig massiv. Sie wählten einen Platz an der Vorderfront, möglichst weit von der beide Seiten verbindenden Schieberöffnung entfernt.
Die Situation in dieser Gruppe war nicht einfach, Hoppediz war eindeutig das dominierende Männchen, doch hatten dies seine Weibchen (Migga, Inge, Purzel) noch nicht erkannt. Besonders das dominierende Weibchen Migga schien zu „glauben“, Bubi sei attraktiver als Hoppediz. Sie suchte die Nähe von Bubi und putzte ihn. Seit Oktober 1983 (Tötung eines 26 Tage alten Jungtieres) wuchs kein Jungtier in dieser Gruppe heran, auch die beiden 1985 in der Gruppe geborenen Jungtiere wurden getötet. Wir haben das Töten nicht beobachten können. Nach unserer Vermutung war Hoppediz der Töter. Da dieses Männchen mit größter Wahrscheinlichkeit auch der Vater der Kinder war, Bubi hatte kein Interesse am Geschlechtsverkehr, die Weibchen warben um Bubi und kopulierten mit Hoppediz, hätte Hoppediz somit seine eigenen Kinder getötet.62



Abbildung 13.76: Bubi war alt und gebrechlich, dennoch aber für Kapuzineraffen-Weibchen ausgesprochen attraktiv. sie putzten ihn und warben um ihn.




Abbildung 13.77: Hoppediz war objektiv dominierend, doch hatten dies die Weibchen seiner Gruppe nicht erkannt.


Wäre die Hoppediz-Gruppe unsere einzige Kapuzineraffengruppe gewesen, hätten wir sicherlich den vermeintlichen Übeltäter entfernt. Doch Hoppediz durfte in der Gruppe bleiben. Die Weibchen putzten ihn dann 1985 auch zunehmend, 1986 war er „der“ attraktive dominierende Mann, weitere Kinder überlebten.
Meine Tierpflegerinnen hatten zunehmend Schwierigkeiten, Bubi zum Reinigen auszusperren, ich ließ daher extra für Bubi noch eine Leiter einbauen, damit er auch ohne Sprung den Durchgang nach Außen erklimmen konnte. Das Aussperren gestaltete sich immer schwieriger. Am 28.12.1987 war es soweit, Bubi weigerte sich, nach außen zu gehen, vielmehr blieb er auf dem Boden sitzen. Das Leben im Sozialverband war nicht mehr zu verantworten.
Ich beschloss, Bubi in die Quarantäne umzusetzen, wollte ihn aber nicht einfangen. Bubi musste von mir nur gerufen werden, er lief hinter mir her (durch den ihm nicht vertrauten Flur und durch die Quarantäneschleuse) und ließ sich bewegen, einen der dortigen Käfige zu betreten. Dort hielt er sich nur am Boden auf. Bubi hatte sich wohl die Zukunft anders vorgestellt, mich würdigte er keines Blickes. Doch bereits am 29.12.1987 begrüßte er mich wieder mit lautem Geschrei. Jeweils am Morgen und am Abend besuchten wir ihn bei unseren Rundgängen. Am 13.01.1988 erhielten wir dann unseren ersten Brüllaffen-Mann, der auch in die Quarantäne untergebracht wurde (vgl. Kapitel 12). In den folgenden Tagen berichteten meine Tierpflegerinnen, Bubi würde keine Nahrung mehr zu sich nehmen, wir müssten wohl mit seinem Ableben rechnen. Was war geschehen? Wir alle waren von unserem Brüllaffen begeistert, unser erster Gang war immer zu ihm. Bubi, im Nachbarkäfig, war offensichtlich „beleidigt“. Nachdem ich dies erkannt hatte, änderten wir unser Verhalten. Bei Betreten der Quarantäne begrüßten wir als erstes Bubi und unterhielten uns mit ihm. Bubi genas und begrüßte mich bei dem Eintreten wieder mit lautem Geschrei an der Käfigtür. Bubi blieb aber ansonsten sehr bewegungseingeschränkt. Das an der Rückwand angebrachte Ruhebrett konnte er offensichtlich nicht aufsuchen. Seine Haltung war ausgesprochen unbefriedigend. Ich beschloss daher, ihn mit Weißbüschelaffen zu vergesellschaften. Das Risiko für die Weißbüschelaffen schien mir vertretbar zu sein. Ich ließ zwei Krallenaffenschlafkästen anbringen und überführte das am 25.03.1983 in Kassel geborene Männchen C108 und seinen am 20.03.1987 geborenen Sohn C181 am 02.03.1988 in den Bubi-Käfig. Mir schien nur das echte Risiko zu bestehen, dass die Weißbüschelaffen nicht genügend Vitamine bekommen würden. So ordnete ich an, den Futternapf mit dem Vitaminbrei auf einen der Schlafkästen zu stellen, unerreichbar für Bubi. Bei meinem Morgenrundgang bot sich mir ein unerwartetes Bild. Der vermeintlich bewegungsunfähige Bubi sprang auf den Schlafkästen offensichtlich „begeistert“ mehrfach hin und her, von einem Schlafkasten auf den anderen, und hatte wahrscheinlich den Krallenaffenbrei genossen.



Abbildung 13.78: Bubi nahm gerne Lebertran zu sich.


Das Problem „Vitaminbrei“ war leicht zu lösen, ich ließ den Brei in einen der Schlafkästen stellen. Bubi hielt sich in den folgenden Tagen nicht mehr am Boden auf, er saß auf dem Ruhebrett, bei meinem Eintritt „flohen“ die Weißbüschelaffen zu ihm und drängten sich an ihn. Es bestand also keine Notwendigkeit mehr, Bubi in der Quarantäne abzusondern. Bereits am 07.03.1988 bezog Bubi ein Krallenaffengehege (mit Zugang zu einem der Außengehege). Auch diesmal gingen wir gemeinsam in das neue Gehege, Bubi folgte mir und konnte problemlos umgesetzt werden.
Am 23.04.1988 tauschten wir ohne Probleme C181 durch das am 01.07.1985 geborene Weibchen C140 aus. C108 und C140 erfreuten uns (und wohl auch Bubi) durch zwei am 27.09.1988 geborene Jungtiere, die im Beisein des alten Kapuizinermannes aufgezogen wurden. Die gemeinsame Haltung mussten wir erst aufgeben, nachdem wir in diese gemischte Gruppe am 07.12.1988 Lea, die am 05.06.1981 geborenen Inge-Tochter, introduzierten (Lea war aus der Hoppediz-Gruppe verdrängt worden). Das erwachsene Kapuzinerweibchen vertrug sich zwar auch mit der Weißbüschelaffenfamilie, doch passte es unerwartet auch in die Schlafkästen der Krallenaffen und aß mit Begeisterung den Krallenaffenbrei auf. Daher gaben wir am 19.01.1989 die gemeinsame Haltung von Weißbüschelaffen und Kapuzineraffen auf. Bubi lebte dann noch mehr als zwei Jahre gemeinsam mit Lea in der Primatenstation. Bei seinem Tod am 03.03.1991 hatte ich nach sechzehn gemeinsamen Jahren einen meiner besten Freunde verloren.



Abbildung 13.79: Affiliative Beziehungen in der Don-Gruppe, 01.01.1992 - 31.03.1993


Wir schätzten alle Individuen unserer Sozialgruppen und litten mit ihnen. Besonders belastete mich das unerwartete Schicksal von Sylvia. Daher möchte ich über dieses und die Vorgeschichte berichten. Die Don-Gruppe lebte relativ friedlich zusammen. In der Abbildung 13.79 habe ich das Beziehungsgeflecht in der Zeit vom 01.01.1992 bis 31.03.1993 skizziert. Die Skizze beruht auf 77652 protokollierten affiliativen Kontakten. Diesen standen nur 272 agonistische Interaktionen gegenüber. Knapp 5 % der affiliativen Kontakte (3047) waren Soziale Körperpflege. Da dieses Verhalten für Präferenzverhalten der Individuen besonders informativ ist, gebe ich die präferierten Partner jeweils an.
Das dominierende Männchen gab es nicht mehr. Es dominierte die Koalition von Don, Christian und Toko, die in der Regel zentral gemeinsam zusammensaßen und nach meiner Einschätzung bewusst jeglichen agonistischen Kontakt vermieden.63 Alle drei Männchen saßen nicht nur gemeinsam zusammen, sie präferierten sich auch untereinander bei der sozialen Körperpflege. Für Don waren Christian (n = 28) und Toko (n = 9), für Toko Don (n = 56) und für Christian Don (n = 83) und Toko (n = 15) die attraktivsten Sozialpartner bei dieser Verhaltensweise. Nur für Toko sind Putzkontakte zu weiblichen Individuen bemerkenswert, er putzte Sarah (n = 40), von der er 59 mal geputzt wurde. Sarah putzte auch Don (n = 33) und Christian (n = 13), zudem sind die aktiven Putzkontakte von Sarahs Töchtern Stephanie und Silke zu diesen Männchen bemerkenswert (Stephanie: Don (n = 53), Toko (n = 50), Christian (n = 14); Silke: Don (n = 53), Toko (n = 50), Christian (n = 14)), so dass Sarah nach dem protokollierten Verhalten64 aus heutiger Sicht „das“ dominierende Weibchen war. Neben den Kontakten von Sarah und ihren Töchtern zu diesen Männchen mag erwähnenswert sein, dass Sylvias Tochter Sandra Christian dreizehnmal putzte.
Darüber hinaus mag man die große Untergruppe von Sylvia erkennen, die als dominierende Untergruppe besondere Beziehungen zu diesen Männchen unterhielt (s. o.). Die Matriarchin Sylvia unterhielt nur noch Beziehungen gegenseitiger sozialer Körperpflege mit ihren Töchern Sarah (aktiv n = 21, passiv n = 6) und Sandra (aktiv n = 18, passiv n = 19) und putzte auch ihre Enkeltöchter Stephanie (n = 5) und Paula (n = 8). Sarah unterhielt neben den Beziehungen zu ihrer Mutter gegenseitige Putzkontakte zu ihren Töchtern Stephanie (aktiv n = 29, passiv n = 12), Silke (aktiv n = 25, passiv n = 35) und Franziska (aktiv n = 36, passiv n = 12), zudem putzte sie ihren Sohn Sophiles (n = 14), ihre Enkeltochter Tonia (n = 26) und ihre Nichte Paula (n = 29).



Abbildung 13.80: Neben Don hatte auch Toko eine dominierende Position in der Gruppe.




Abbildung 13.81: Nämliches galt für Christian.




Abbildung 13.82: Sylvias Tochter Sarah


Sarahs Tochter Stephanie hatte neben den Kontakten mit ihrer Mutter Beziehungen gegenseitiger sozialer Körperpflege mit ihrer Schwester Silke (aktiv n = 17, passiv n = 43), ihrer Tochter Tonia (aktiv n = 57, passiv n = 34) und putzte auch die Petra-Tochter Paula (n = 14).65
Daneben erkennt man vier weitere Untergruppen, nämlich (1) Teufel und ihre Kinder und Enkelkinder66, (2) Kim mit Kindern und „Freunden“ (Kim gelang es, neben den Beziehungen gegenseitiger sozialer Körperpflege zu ihren Töchtern Karin (aktiv n = 14, passiv n = 53) und Karoline (aktiv n = 23, passiv n = 12) auch solche mit den nicht über die Mutter verwandten adulten Männchen Carlos (Mutter: Erna) (aktiv n = 30, passiv n = 32) und Justus (aktiv n = 22, passiv n = 37) zu etablieren; Karin war nach den Putzkontakten nur mit Carlos befreundet (aktiv n = 67, passiv n = 16), putzte aber auch ihre Schwester Karoline (n = 12)), (3) Edith mit Kindern67 und (4) Claudia mit Kindern68. Untergruppenübergreifende Putzkontakte konnten zu Teufel festgestellt werden (sie wurde von Kim (n = 11) und Claudia (n = 4) geputzt, zudem putzte Claudia Edith (n = 7). Mit quantitativ vernachlässigbaren Sozialkontakten lebten in der Gruppe ein weiterer Sohn Ernas, Cesar, und Dorothee69. Dorothee wurde von Karoline (n = 8) geputzt und putzte selber den peripher lebenden Philipp (n = 8)
Ich spekulierte damals, dass irgendwann die Gruppe nur noch aus dem Sylvia-Clan bestehen würde, war dieser doch besonders mächtig. Das dominierende Weibchen Sylvia schien unangreifbar, ihr standen ihre Töchter Sarah und Petra verläßlich zur Seite. Ich sollte mich täuschen. Irgendwie erlitt Paula, die am 20.05.1991 geborene Tochter von Petra, eine Verletzung, an der die sie beständig pflegende kerngesunde Petra für uns völlig unerwartet am 01.02.1992 starb. Nach dem Autopsiebericht hatte sie sich bei der Wundreinigung mit Eitererregern infiziert. Die Pflege von Paula übernahmen dann die weiblichen Verwandten.



Abbildung 13.83: Claudia (vorn) und Kim (hinten) mit Kindern




Abbildung 13.84: Sarahs Tochter Stephanie


In der Gruppe wurden zwischen Mai und Juli fünf weitere Jungtiere geboren und aufgezogen.70 Am 02.11.1992 wurde Sylvias Sohn Samuel massiv von Justus angegriffen und verletzt und starb am selben Tag. Sylvia hatte also nach Petra einen zweiten möglichen Verbündeten verloren. Am 08.01.1993 schließlich griff plötzlich Stephanie Sylvia massiv an. Sylvia hatte keine Hilfe. Sarah half nicht gegen die eigene Tochter, sonstige Freunde hatte Sylvia - als (ehemals) dominierendes Weibchen - nicht, sie war den Attacken ihrer Enkeltochter hilflos ausgesetzt. Offensichtlich war die Mutter-Tochter-Bindung für Sarahs Handeln entscheidender als die Tochter-Mutter-Bindung. Stephanie kämpfte unerbittlich. Ich habe dann die wehr- und schutzlose Sylvia aus der Gruppe genommen und wegen ihrer schweren physischen und psychischen Verletzungen eingeschläfert.
Toko, der erste in Kassel gezeugte Kapuzineraffe, war ein Ausnahmetalent. Er übernahm oder erbte (was ich vermute) das Verhalten seiner Mutter Teufel, gegen sich gerichtete Drohungen zu ignorieren und stattdessen in die gleiche Richtung wie der Drohende zu drohen, er beobachtete auch sehr sorgfältig unser Verhalten. In der Primatenstation hatten wir einen großen Beobachtungsraum, von dem aus wir auch außerhalb der regulären Beobachtungszeiten, das Geschehen in der Don-Gruppe innen und außen begleiten konnten.71 Doch auch die Kapuzineraffen konnten uns beobachten, wie wir gemeinsam Kaffe tranken und auch feierten. Besonders aufmerksam war hier Toko, sobald ich aufstand, um den Kapuzineraffen etwas abzugeben, erkannte er dies und wartete dann bereits am Gitter auf die Gabe. Toko kooperierte auch bei Versuchen von Elisabetta Visalberghi zum Werkzeuggebrauch ([227]) und „las ihr jeden Wunsch von den Augen ab“, er klopfte jede Nuß, die er mühelos mit den Zähnen hätte öffnen können, mit einem der angebotenen Bretter.72 Zudem war er auch ein verlässlicher Partner bei allen Bedrohungen, ob Ratte oder Weihnachtsmann. Toko zeigte niemals ängstliches Verhalten. Nach dem in Kapitel 11 beschriebenen Unfall rief mich Elisabetta Visalberghi an und fragte, war es Toko, was ich leider nur bejahen konnte.



Abbildung 13.85: Meine „Tochter“ Edith, 16 Jahre alt


Zur bereits mehrfach erwähnten Edith, meiner „Tochter“, möchte ich noch berichten, dass sie in den vielen Jahren als einziger Kapuzineraffe niemals vor mir gewichen ist, alle anderen respektierten mich und wichen vor mir, betrat ich das Gehege. Ich hatte seit ihrem Rücktransport in die Tierhaltung niemals den Versuch gemacht, Edith zu berühren, bin aber sicher, dass sie sich sehr wohl an die Aufzuchtzeit erinnert hat, dass sie wohl auch durch diese Phase in der Zeit, in der ein normal aufwachsender Kapuzineraffe die Zahl seiner Sozialpartner sukzessive ausweitet (s. u.), auf den Menschen geprägt worden ist. Ich hatte im Gehege der Don-Gruppe (mit Edith im Rücken) ein gewisses Gefühl der Sorge, sie könnte mich unkontrolliert angreifen. Hier war sie aber in den vielen gemeinsamen Jahren ein verlässlicher Partner.



Abbildung 13.86: Handaufgezogen und als Söhne-Mutter hatte Edith nur wenige Kontakte im Sozialverband.


Spezielle Befunde des ersten halben Lebensjahres

Neugeborene Kapuzineraffen73 sind völlig abhängig von der Mutter und werden vornehmlich von dieser auf dem Rücken getragen, im ersten Lebensmonat quer zur Körperlängsachse, später längs zur Körperlängsachse.



Abbildung 13.87: Ama mit Neugeborenem, links Teufel




Abbildung 13.88: Noltes Bambino klammert quer zum Rücken von Suse.




Abbildung 13.89: Tragen längs




Abbildung 13.90: „Gehübungen“ auf dem Rücken der Mutter




Abbildung 13.91: Bambino beim Saugen




Abbildung 13.92: Soziale Körperpflege




Abbildung 13.93: Selbständige Kletterversuche




Abbildung 13.94: Kampfspiel, Bambino lacht, Suse lächelt. (Wir haben das Lachen und das Lächeln nicht protokolliert.)




Abbildung 13.95: Bambino spielt solitär.


Nur selten ist das Tragen am Bauch zu beobachten. Das Tragen durch andere Gruppenmitglieder kann nur selten beobachtet werden. Nur eines der Kinder (Cesar, vgl. Tabelle 13.3) wurde regelmäßig von seiner damals vierjährigen Schwester Claudia (vgl. Tabelle 13.3) getragen. Von den ingesamt beobachteteten 547 Fällen des Tragens durch Nichtmütter entfallen auf Claudia 325 Trageepisoden. Grundsätzlich waren die Haupttragtiere Geschwister, vor allem Schwestern (73 %). Andere Juvenile transportierten die Kinder ebenfalls (männliche und weibliche zu jeweils 7 %. Das Tragen durch Adulte war selten zu beobachten (adulte Weibchen 1 %, adulte Männchen 2 %).
Ab dem zweiten Lebensmonat werden die Kinder zunehmend alleine angetroffen, doch bleiben sie bis zum Ende des vierten Lebensmonates für mehr als die Hälfte der Beobachtungszeit auf oder neben der Mutter. Bereits in dieser frühen Lebensphase sind Geschlechtsunterschiede aufzeigbar, männliche Kinder verlassen die Mutter früher als weibliche Kinder.
Bereits während des ersten Lebensmonates beginnen die Kinder auf der Mutter herumzuklettern, ab dem zweiten Lebensmonat richten sie sich auch auf, lösen also den Kontakt mit den Händen. Ab dem dritten Lebensmonat klettern, laufen und springen sie allein, wobei das Klettern (am Käfiggitter) am häufigsten zu beobachten ist. Auch bei diesen frühen vorsichtigen Bewegungen sind Geschlechtsunterschiede aufzeigbar, männliche Kinder springen ab dem vierten Lebensmonat signifikant häufiger als ihre Altersgenossinnen.
Während der ersten sechs Lebensmonate werden die kleinen Kapuzineraffen immer attraktiver für andere Gruppenmitglieder. Auch die Kinder beginnen, mit diesen aktiv zu interagieren. Schematisch betrachtet (Abbildung 13.96), können wir feststellen, dass die ersten zwei Lebensmonate - die jungen Affen sind noch völlig hilflos - charakterisiert sind durch passive Kontakte mit Geschwistern, wobei ältere Brüder erst ab dem zweiten Lebensmonat an dem Geschwister interessiert sind. Im dritten Lebensmonat suchen dann die Kinder selbst den Kontakt zu ihren Geschwistern. Im vierten Lebensmonat werden sie attraktiv für ältere im gleichen Jahr geborene Jungtiere, die sie dann im fünften Lebensmonat auch selber aktiv aufsuchen.74 In diesem Lebensmonat beginnen auch adulte Männchen, Kontakt zu den Kindern aufzunehmen. In der Regel ist dies aber nur eines der adulten Männchen, häufig das dominierende Männchen, das dann auch im sechsten Lebensmonat von den Kindern aufgesucht wird. Dieses Männchen hatten wir dann den psychischen Vater genannt (s. o.). Im sechsten Lebensmonat weiten die Kapuzinerkinder auch erstmals den Kreis der Sozialpartner aktiv aus, sie nehmen auch Kontakte auf zu nichtverwandten ein Jahr älteren Jungtieren.



Abbildung 13.96: Die sukzessive Zunahme der Sozialpartner in den ersten sechs Lebensmonaten ([253])


Gerade im Hinblick auf unsere ersten Beobachtungen an importierten Kapuzineraffenkindern ist es interessant, die Häufigkeit bestimmter Verhaltensweisen im ersten halben Lebensjahr zu betrachten, wir werteten hierzu die Verhaltensweisen Gehenzu, Manipulieren, Zusammensitzen ohne Körperkontakt, Kontaktsitzen, Soziales Spiel, Soziale Körperflege aus und zusätzlich das Lippenschmatzen und das Schmusen aus. Bei der letztgenannten Verhaltensweise betasten sich die Sozialpartner gegenseitig und haben dabei einen „verliebten“ Gesichtsausdruck, der dem charakteristischen Oestrusgesicht der erwachsenen Kapuzineraffen gleicht. Bei dem Zusammensitzen (mit und ohne Körperkontakt), dem Sozialen Spiel und dem Schmusen konnte zwischen aktivem und passivem Partner nicht differenziert werden.



Abbildung 13.97: Das Manipulieren eines Kindes belegt hier die Ausgsburgerin Bubsi, sie manipuliert den auf seiner Mutter sitzenden Christian.


Bei dem aktiven Gehenzu (im Mittel 441 ± 247) zeigen die Kinder kein klares Präferenzverhalten. Sie bevorzugen jedoch adulte Männchen, Geschwister und im gleichen Jahr geborene oder ein Jahr ältere Juvenile und gehen seltener zu adulten und juvenilen (nichtverwandten) Weibchen. Bei dem passiven Gehenzu (797 ± 562) sind sie besonders attraktiv für Geschwister. Zudem ist auffällig, dass Kinder des gleichen Altersbereiches (gleichalt und 1 Jahr älter) andere Kinder häufiger aufsuchen als andere Gruppenmitglieder.
Geschwister und Kinder des gleichen Altersbereiches sind auch die bevorzugten Partner bei dem Zusammensitzen mit (328 ± 178) und ohne (218 ± 178) Körperkontakt, bei dem Sozialen Spiel (363 ± 178) und dem Schmusen (81 ± 43). Bei dem Zusammensitzen ohne Körperkontakt sind zudem die Kontakte zu adulten Männchen auffällig.75
Bei dem Manipulieren (aktiv: 48 ± 27, passiv: 116 ± 66) sind die Kinder eindeutig die passiveren Partner, dies gilt noch weit auffälliger für die Verhaltensweise Soziale Körperpflege (aktiv: 1 ± 1, passiv: 221 ± 102) und Lippenschmatzen (aktiv: 5 ± 4, passiv: 172 ± 59). Hier sind es nahezu ausschließlich Geschwister und ein Jahr ältere Juvenile, die aktiv mit den Kindern interagieren.
Geschlechtsunterschiede sind in dieser Altersphase gering. Nur bei dem sozialen Spiel konnten wir diese sichern, männliche Kinder spielen signifikant häufiger als weibliche Altersgenossen.76

Spezielle Befunde des zweiten halben Lebensjahres

Das zweite halbe Lebensjahr ist von besonderem Interesse, da die jungen Affen zumindest theoretisch den Kreis der bevorzugten Sozialpartner nach ihrer eigenen Wahl erweitern können. In dieser Lebensphase wird der kleine Kapuzineraffe fortwährend immer unabhängiger von der Mutter und interagiert häufig mit anderen Gruppenmitgliedern. Er wird attraktiv als passiver und/oder aktiver Partner. Das einzige Verhalten, das die Kapuzineraffen auch im zweiten Lebenshalbjahr nicht zeigen, ist die Soziale Körperpflege, doch sind sie häufig passive Putzpartner. Bei unseren Analysen vergleichen wir die gemittelten Ergebnisse jeweils mit dem Erwartungswert, mit dem Wert, der zu erwarten wäre, wenn das jeweilige Kind mit jedem Indivduum seiner Gruppe gleich häufig interagieren würde. Im Vergleich zu den Befunden des ersten halben Lebensjahres geben wir keine Daten zum Lippenschmatzen an, da dieses Verhalten im zweiten Lebenshalbjahr nur sehr selten zu beobachten ist. Zudem verzichten wir auf Daten des Zusammensitzens ohne Körperkontakt, da in dieser Altersphase und unter den restriktiven Bedingungen in Menschenobhut nicht entschieden werden kann, ob bestimmte Individuen zufällig oder absichtlich zusammensitzen.77
Auch während des zweiten halben Lebensjahres bleibt die Mutter der wichtigste Sozialpartner ihres Kindes. Dies gilt besonders bezüglich der Verhaltensweisen Soziale Körperpflege (das Kind ist nur passiver Partner), Manipulieren und Kontaktsitzen. Insofern ist besonders auffällig, dass die Kinder mit ihren Müttern seltener spielen als zu erwarten. Geschlechtsunterschiede bei den Mutter-Kind-Interaktionen sind nicht aufzeigbar. Doch sind weibliche Kinder in dieser Lebensphase als passive Partner bei der sozialen Körperpflege und bei dem Manipulieren für die Mutter attraktiver als für irgendein anderes Gruppenmitglied.78
Bei dem Gehenzu79 ist auffällig, dass männliche und weibliche Kinder im zweiten Lebenshalbjahr bestimmte andere Individuen präferieren, nämlich adulte Männchen, Geschwister und Kinder des gleichen Altersbereiches. Männliche Kinder sind weniger daran interessiert adulte und juvenile Weibchen und mehr daran interessiert subadulte und - schwach gesichert - juvenile Männchen aufzusuchen im Vergleich zu weiblichen Kindern. Als passive Partner werden männliche Kinder häufiger von Geschwistern und im gleichen Jahr geborenen Kindern und seltener von adulten und juvenilen Weibchen aufgesucht als weibliche Kinder.
Bei dem Manipulieren80 waren Kinder beiderlei Geschlechts als aktive und als passive Partner für Kinder ihres Alterbereichs attraktiver als zu erwarten. Männliche Kinder waren zudem relativ attraktiver für subadulte und juvenile Männchen. Diese Befunde waren aber nur schwach zu sichern.
Bei dem Kontaktsitzen81 sitzen die Kinder weitaus häufiger mit Geschwistern und im gleichen Jahr geborenen Kindern in Körperkontakt als zu erwarten. Weibliche Kinder sind zudem als Kontaktpartner attraktiv für ein Jahr ältere Juvenile. Vergleichen wir die Daten männlicher und weiblicher Kinder, gewinnt man den Eindruck, dass männliche Kinder attraktiver für subadulte und juvenile Männchen und weniger attraktiv für adulte Männchen sind als weibliche. Von diesen Ergebnissen kann die hohe Attraktivität der Geschwister für männliche und weibliche Kinder, von im gleichen Jahr Geborenen für männliche Kinder - verglichen mit den Erwartungswerten - und die höhere Attraktivität adulter Männchen für weibliche Kinder - verglichen mit männlichen Kindern - statistisch gesichert werden.
Neben den Geschwistern spielen Kinder desselben Altersbereichs und - in geringerem Maße - juvenile Männchen mit den 6 bis 12 Monate alten Kindern häufiger als zu erwarten. Dies kann für beide Geschlechter für im gleichen Jahr geborene Kinder, für männliche Kinder bezüglich der Geschwister und für weibliche Kinder bezüglich der ein Jahr Älteren gesichert werden. Zusätzlich und bezogen auf alle Sozialpartner spielen männliche Kinder signifikant häufiger als weibliche Kinder. Wir protokollierten das soziale Spiel 1000 ± 158 mal für männliche und 383 ± 97 mal für weibliche Kinder im zweiten Lebenshalbjahr.
Bei dem Schmusen82 sind Kinder desselben Altersbereichs die bevorzugten Partner. Geschwister beteiligen sich häufiger als zu erwarten.
Im auffälligen Kontrast zu den bisher besprochenen Verhaltenweisen sind die Kinder bei der Sozialen Körperpflege83 vor allem passive Partner. Darüber hinaus ist auffällig, dass es eigentlich nur die Geschwister sind, die - unabhängig vom Geschlecht des Kindes - die Kinder putzen. Weibliche Kinder sind hier auch attraktiv für adulte und juvenile Weibchen.
Fassen wir die bisherigen Befunde zusammen, dann sind im zweiten Lebenshalbjahr neben der Mutter nur drei Kategorien von Sozialpartnern für die Kapuzineraffenkinder von Bedeutung, nämlich Geschwister, im gleichen Jahr geborene Jungtiere und ein Jahr ältere Individuen. Dabei kommt auch dem Geschlecht der Sozialpartner hohe Bedeutung zu. Bei den Kontakten zu ein Jahr älteren Jungtieren bevorzugen männliche Individuen männliche und weibliche weibliche. Besonders auffällig ist dies bei weiblichen Jungtieren. Ein Jahr ältere Männchen bevorzugen bei dem sozialen Spiel, dem Manpulieren und dem Schmusen eindeutig männliche Kinder. Männliche Kinder bevorzugen ein Jahr ältere Männchen bei dem Gehenzu, weibliche Kinder ein Jahr ältere Weibchen bei dem Gehenzu, dem Kontaktsitzen, dem Schmusen und umgekehrt.
Die gegenseitige Bevorzugung von Individuen des eigenen Geschlechtes ist besonders auffällig bei dem Sozialen Spiel, Männchen spielen bevorzugt mit Männchen und Weibchen mit Weibchen.
Die einzige Ausnahme von der Bevorzugung von Individuen des eigenen Geschlechtes zeigen ältere Schwestern bei dem Gehenzu, Kontaktsitzen und bei der Sozialen Körperpflege, hier präferieren sie männliche Kinder, was sich aber statistisch nicht sichern läßt. Ältere Brüder hingegen interagieren mit den Kindern unabhängig von deren Geschlecht (Kontaktsitzen) oder bevorzugen männliche Kinder (Soziales Spiel, Manipulieren, Soziale Körperpflege und Schmusen), wobei sich diese Bevorzugung nur für das Schmusen sichern lässt.
Zudem muss bemerkt werden, dass ältere Schwestern generell mit den Kindern häufiger in engem Körperkontakt sitzen als ältere Brüder. Dies gilt auch für das Manipulieren und besonders für die soziale Köperpflege, wo Schwestern die einzigen erwähnenswerten sozialen Partner der Kinder sind. Dies gilt für männliche und weibliche Kinder.
Betrachten wir nur die Beziehungen der im gleichen Jahr geborenen Kinder untereinander, dann schmusen weibliche Kinder bevorzugt mit weiblichen Kindern, manipuliert werden dagegen sowohl von weiblichen als auch von männlichen Kindern bevorzugt gleichalte weibliche Artgenossen.
Auffällig ist insgesamt betrachtet, dass die sich im ersten Lebenshalbjahr sukzessive entwickelten Sozialkontakte zu anderen Gruppenmitgliedern nicht weiter ausweiten.

Spezielle Befunde zur Mutter-Kind-Beziehung vom zweiten bis zum fünften Lebensjahr

Zu Beginn unserer Untersuchungen war es offen, inwieweit die engen Mutter-Kind-Beziehungen beibehalten werden würden bzw. ob auch im späteren Leben Unterschiede zwischen Mutter-Sohn- bzw. Mutter-Tochter-Beziehung aufzeigbar sind. Die guten Zuchterfolge in Kassel und die hohen Überlebensraten erlaubten quantitatives Datenmaterial auswerten zu können.84 Wir verglichen auch hier die Befunde mit dem Erwartungswert. Neben den prozentualen Anteilen analysierten wir die absoluten Häufigkeiten des zu beobachtenden Verhaltens.
Männliche und weibliche Juvenile suchen ihre Mutter signifikant häufiger auf als zu erwarten. Töchter sind bei dem Gehenzu signifikant aktiver als Söhne. Auch im 5. Lebensjahr ist dieser Trend zu belegen. Diese geschlechtstypischen Unterschiede gelten, unabhängig davon, ob man die prozentualen Anteile oder die absolute Häufigkeit des aktiven Verhaltens Gehenzu betrachtet.
Söhne und Töchter werden von ihren Müttern durchgängig häufiger aufgesucht als zu erwarten. Ab dem vierten Lebensjahr werden Töchter häufiger aufgesucht als Söhne, was sich nach den absoluten Werten aber erst im fünften Lebensjahr sichern läßt, d. h. Geschlechtsunterschiede sind bei dem Aufgesuchtwerden durch die Mutter sehr gering.
Das am häufigsten zwischen den Müttern und ihren heranwachsenden Kinder zu beobachtende Verhalten ist das Kontaktsitzen. Unabhängig vom Geschlecht und Alter des Kindes sitzen die Mütter in engem Körperkontakt mit diesen.
Ab dem zweiten Lebensjahr putzen die juvenilen Kapuzineraffen ihre Mütter häufiger als andere Gruppenmitglieder, unabhängig vom Alter und Geschlecht der Juvenilen. Töchter putzen ihre Mütter häufiger als Söhne, was sich ab dem dritten Lebensjahr sichern läßt. Sowohl bei den Töchtern als auch bei den Söhnen nimmt die absolute Häufigkeit des Putzens der Mutter mit zunehmendem Alter zu (bei den Söhnen auf einem geringeren Niveau).
Die Mutter wiederum putzt ihre Kinder unabhängig vom Geschlecht und Alter signifikant häufiger als andere Gruppenmitglieder. Männliche Juvenile sind für die Mütter dabei relativ attraktiver als weibliche. Das Interesse der Mutter, die Jungen zu putzen, nimmt mit zunehmendem Alter der Juvenilen ab. Darüber hinaus ist auffällig, dass Töchter bei der Sozialen Körperpflege in der Mutter-Tochter-Dyade mit zunehmendem Alter die aktiveren Partner werden.
Als Partner des Sozialen Spielens sind Mütter für ihre heranwachsenden Kinder ohne Bedeutung, mit Söhnen spielen sie sogar signifikant seltener als zu erwarten.
Für Juvenile Kapuzineraffen bleibt die Mutter der wichtigste Sozialpartner. Verwandtschaftsbeziehungen (über die Mutter) sind also von hoher Bedeutung für das im Sozialverband heranwachsende Individuum. Mit zunehmendem Alter der Juvenilen werden Unterschiede zwischen der Mutter-Sohn- und der Mutter-Tochter-Dyade immer auffälliger. In der Mutter-Sohn-Dyade bleibt die Mutter der aktivere Partner, in der Mutter-Tochter-Dyade hingegen wird die Tochter die aktivere. Hierdurch scheinen Töchter die engen Beziehungen zu ihren Müttern sicherzustellen und zu erhalten, wodurch Matriclane und auf Verwandtschaft beruhende Untergruppen in der Kapuzinergesellschaft geformt werden. Männchen hingegen reduzieren mit zunehmendem Alter ihre Kontakte zur mütterlichen Untergruppe (und suchen dann Kontakte außerhalb des Kreises der mütterlichen Verwandten).

Spezielle Befunde zu den Beziehungen mit Geschwistern vom zweiten bis zum fünften Lebensjahr

Bei den Beziehungen der Geschwister untereinander wollten wir untersuchen, ob diese Beziehungen stabil bleiben oder sukzessive zurückgehen, zudem ob die Beziehungen von Geschwistern des gleichen Geschlechtes sich von Bruder-Schwester-Dyaden unterscheiden lassen.85 Ohne hier näher auf diese Befunde eingehen zu wollen, war durchgängiges und gut gesichertes Ergebnis bei dem aktiven und passiven Gehenzu und bei dem Kontaktsitzen, dass Geschwister über die gesamten vier betrachteten Lebensjahre ihre Geschwister - unabhängig vom Geschlecht- häufiger aufsuchten bzw. von diesen aufgesucht wurden und häufiger mit diesen in Körperkontakt saßen als zu erwarten.
Bei der Sozialen Körperpflege muss einschränkend bemerkt werden, dass Brüder grundsätzlich nur selten andere Individuen putzen bzw. dass Schwestern erst ab dem dritten Lebenjahr häufiger aktiv andere Sozialpartner putzen. Männchen und Weibchen werden von ihren Geschwistern, vor allem von ihren Schwestern, in allen untersuchten Altersstufen signifikant häufiger geputzt als von irgendeinem anderen Gruppenmitglied. Dagegen werden Weibchen nur selten von ihren Brüdern geputzt, stets seltener als von ihren Schwestern.
Bei dem Sozialen Spiel spielen männliche Juvenile signifikant häufiger mit ihren Brüdern (nicht aber mit ihren Schwestern) als zu erwarten. Weibliche Juvenile spielen wenig.
Sie spielen jedoch mit Geschwistern unabhängig vom Geschlecht häufiger als mit anderen Gruppenmitgliedern (Schwester/Schwester: 2. Lj. p < 0,05, 3. Lj. p < 0,005, 4. Lj. p < 0,001, 5. Lj. p < 0,005; Schwester/Bruder: 4. Lj. p < 0,025, 5. Lj. p < 0,05). Auch bei weiblichen Juvenilen ist eine Präferenz für weibliche Spielpartner aufzeigbar, insofern spielen alle Juvenilen bevorzugt mit Individuen des eigenen Geschlechtes.
Unabhängig vom Alter interagieren in der Gruppe geborene juvenile Kapuzineraffen mit ihren (über die Mutter verwandten) Geschwistern, unabhängig auch von dem Grad der Verwandtschaft (über den Vater). Sie suchen sich gegenseitig auf und sitzen häufiger in engem Körperkontakt. Entsprechendes gilt für die soziale Körperpflege und das soziale Spiel, doch bevorzugen sie hier gleichgeschlechtliche Geschwister.



Abbildung 13.98: Der kleine Thomas war das erste in Kassel geborene Kind der zweiten Generation in Menschenobhut. Kim zog ihn - ihr erstes Kind - fast unerwartet auch vorbildlich auf.


Spezielle Befunde zu Kindern der zweiten Generation in Menschenobhut

Hella Kröger [115] untersuchte zudem die Kontaktsitzdyaden von zehn Kindern der zweiten Generation. Neben den drei noch in der alten Station geborenen Kindern Edgar, Cris und Stephanie (vgl. Tabelle 13.3) analysierte sie die Daten von Silke (geb. 18.06.1986, Mutter: Sarah), Clarence (geb. 28.07.1986, Mutter: Claudia), Jan (geb. 02.07.1987, Mutter: Jonaine), Vic (geb. 23.07.1987, Mutter: Isabelle), Sophiles (geb. 31.08.1987, Mutter: Sarah), Ralf (geb. 29.10.1987, Mutter: Edith) und Pia (geb. 14.11.1987, Mutter: Petra). „Ich86 beschränke mich hier auf Daten zum Kontaktsitzen, da diese Verhaltensweise nach den bisherigen Befunden besonders informativ ist. Da zwei Kinder (Edgar und Ralf) von einer handaufgezogenen Mutter geboren wurden, berichte ich vorerst nur die Befunde von acht der zehn Kinder.87
Erwartungsgemäß unterhalten auch die Kinder der zweiten Generation signifikant häufiger enge Kontakte zur Mutter als zu erwarten, was für beide Geschlechter belegt werden kann.
Neben denjenigen zur Mutter sind die Beziehungen zu Geschwistern wiederum besonders eng, alle Kinder saßen mit ihren Geschwistern häufiger in Kontakt als zu erwarten. Wegen der geringen Anzahl der möglichen Dyaden (drei) kann dieser Unterschied nicht für beide Geschlechter getrennt voneinander belegt werden, wenngleich jedes dieser Kinder mit seinem Geschwister viel häufiger interagierte als zu erwarten.
Darüber hinaus unterhielten die Kinder engeren Kontakt zu ihrer Großmutter, ihren Tanten - unabhängig vom Alter der Tanten - und ihren juvenilen (nicht älter als fünf Jahre) Onkeln. Diese Unterschiede können auch separat für beide Geschlechter gesichert werden, wobei bei den Beziehungen zwischen Nichten und juvenilen Tanten wegen der kleinen Anzahl der möglichen Dyaden (zwei) statistische Tests nicht möglich sind, auch wenn beide untersuchten Weibchen mit ihren juvenilen Tanten häufiger als zu erwarten interagierten. Zudem sollte bemerkt werden, dass Verwandte aller vier Qualitäten (Großmutter, adulte Tante, juvenile Tante, juveniler Onkel) mit männlichen verwandten Kindern häufiger in engem Körperkontakt saßen als mit weiblichen, was nach den bisherigen Befunden eigentlich auch zu erwarten ist.
Subadulte und adulte Onkel waren jedoch als Kontaktpartner für die Kinder der zweiten Generation ohne Bedeutung. Dies gilt besonders für die einzige zu analysierende Nichte-subadulter Onkel-Dyade.
Die Befunde über Beziehungen mit Cousins und Cousinen beruhen nur auf wenigen Individuen, wobei in keinem Fall das jeweilige Kind seltener mit einem Cousin oder einer Cousine in engem Körperkontakt saß als zu erwarten.
Somit sind für männliche und weibliche Kinder des gehaubten Kapuzineraffen die weiteren Verwandten ebenfalls wichtige Sozialpartner. Durch diese Beziehungen wird das Kind Mitglied des mütterlichen Matriclans. Da - wie bereits betont - männliche Nachkommen mit zunehmendem Alter die Kontakte zu ihrer mütterlichen Verwandtschaft reduzieren, verwundert es nicht, dass ältere Männchen für die Kinder der zweiten Generation keine Bedeutung als Sozialpartner haben“ ([115], Seiten 110-115).

Spezielle Befunde zum Verwandtenerkennen

Bereits mehrfach habe ich über meine „Tochter“ Edith berichtet, sie war das optimale Versuchstier zum Verwandtenerkennen, lebte sie doch zwei Jahrzehnte in einer Sozialgruppe mit ihrer biologischen Mutter und ihren Geschwistern. Bei der Vergesellschaftung mit den Individuen ihrer Sozialgruppe hatte sie anfänglich - wie berichtet - überhaupt keine Sozialkontakte. Dies verwundert nach den vorgestellten Befunden nicht mehr. Im Alter von einem halben Jahr - dem Alter von Ediths Introduktion - haben Kapuzineraffenkinder die Sozialisation bereits abgeschlossen. Edith musste sich also auf Spielkontakte beschränken und spielte mit ihrem Bruder Toko und den väterlichen Halbschwestern Kim und Claudia.88 Zur Wertung dieser Befunde wollte ich auf verlässliche Befunde der Langzeitstudie warten. Die entsprechenden Befunde hat dann Hella Kröger ([115]) ausgewertet.
„Edith konnte mit Individuen interagieren, die ihr alle gleich wenig vertraut waren. Während ihres bisherigen Lebens interagierte Edith durchgängig häufiger mit nichtverwandten als mit genetisch verwandten Individuen, insbesonders wird dies deutlich, wenn wir ihre Kontakte zur biologischen Mutter mit denjenigen einer ihrer Schwestern vergleichen, die von ihrer Mutter selbst aufgezogen wurden. ... Betrachten wir nun die Beziehungen von Ediths Kindern mit anderen Gruppenmitgliedern, dann ist bemerkenswert, dass die Großmutter, die Tanten und die juvenilen Onkel als Sozialpartner ohne Bedeutung sind. Subadulte und adulte Onkel dagegen interagieren mit ihren Neffen häufiger als zu erwarten. Insofern machen diese Befunde deutlich, dass es nicht die genetische Verwandtschaft ist, die für die engen Beziehungen zwischen Verwandten verantwortlich ist, es ist vielmehr die Vertrautheit, die wichtig für die Beziehungen zwischen den Gruppenmitgliedern einer wachsenden Sozialgruppe ist. In einer normalen Sozialgruppe sind sicherlich nahe Verwandte auch vertraut miteinander, wobei Kapuzineraffen



Abbildung 13.99: Stephanies Kontaktpartner aus dem Kreis der Verwandten




Abbildung 13.100: Edgars Kontaktpartner aus dem Kreis der Verwandten


aber offensichtlich nicht in der Lage sind, verwandtschaftliche Beziehungen ohne Vertrautheit zu erkennen. Diese Annahme wird zudem durch die engen Beziehungen der zwei männlichen Kinder mit ihren subadulten und adulten Onkeln gestützt. Unter normalen Umständen würden diese nicht mit ihren Neffen interagieren, da ihre Schwestern als Sexual- und Kontaktpartner uninteressant sind. Die handaufgezogene Mutter, ein nachgewiesenes Vollgeschwister eines der Männchen und ein mütterliches Halbgeschwister des anderen, war dagegen als Kontakt- und Sexualpartner für beide Männchen attraktiv. Durch diese Kontakte interagierten sie auch mit den Kindern dieses Weibchens, unabhängig vom Grad der genetischen Verwandtschaft“ ([115], Seiten 121-124).

Ungeplanter Kontrollversuch zu den Geschlechterrollen bei dem gehaubten Kapuziner Cebus apella

„Im Rahmen einer Längsschnittstudie konnte exaktes Datenmaterial durch Einzeltierbeobachtungen (jeweils stand nur ein Individuum im Focus des Beobachters) an in den Sozialgruppen aufwachsenden Jungtieren gesammelt werden. Als Beispiel seien hier die Ergebnisse von zwei dreijährigen Kapuzineraffen, von Daniel und Claudia, vorgestellt. Beide lebten in derselben Sozialgruppe gemeinsam mit ihrer Mutter und jeweils einem damals einjährigen Bruder. Betrachten wir ihre gesamten sozialen Interaktionen während des vierten Lebensjahres, ist auffällig, dass jeder Kontakte zu verschiedenen Individuen der Gruppe unterhält.
Bei den Mutter-Kind Interaktionen ist auffällig, dass Claudia ihre Mutter (13) vor allen anderen Sozialpartnern präferiert: Daniel interagiert mit seiner Mutter (19) weitaus seltener, wenngleich häufiger als mit irgendeinem weiteren adulten Weibchen der Gruppe (16, 09, 12, 13, 18, 02). Besonders sei darauf verwiesen, dass Claudia in der Mutter-Kind-Dyade die aktivere ist, Daniel hingegen der passivere Partner. Beide, Claudia und Daniel, interagieren häufig mit ihrem jeweiligen Bruder (38 bzw. 37), Claudia zudem noch mit juvenilen Weibchen. Besonders bemerkenswert sind hier ihre Beziehungen zu zwei ein Jahr älteren Weibchen (22, 23). Darüber hinaus unterhält sie Kontakt zu einem der adulten Männchen (07), einem „Freund“ ihrer Mutter. Daniel dagegen interagiert vornehmlich mit juvenilen Männchen, meist mit zwei jüngeren (31, 38) und einem älteren (21) Männchen.
Betrachten wir die Qualitäten der Interaktionen, so gibt uns das bloße Zusammensitzen (braun) nahezu keine Information. Bei dem Zusammensitzen in engem Körperkontakt (grün) wird deutlich, dass Claudia dieses Verhalten weitaus häufiger als Daniel zeigt, bei dem Sozialen Spiel (gelb), dass Daniel häufig und Claudia selten spielt. Das Verhalten Gehenzu (blau) gibt keine neuen Informationen, wenngleich auffällig ist, dass beide nahezu genauso häufig von den Partnern aufgesucht werden, zu denen sie selbst den Kontakt suchen.



Abbildung 13.101: Die Interaktionspartner von Claudia (oben) und Daniel (unten), nach oben sind die aktiven, nach unten die passiven Kontakte aufgetragen.




Abbildung 13.102: Claudia, drei Jahre alt




Abbildung 13.103: Daniel, drei Jahre alt


Weitere geschlechtstypische Unterschiede werden jedoch bezüglich des Verhaltens Soziale Körperpflege (rot) auffällig. Daniel unterhält Putzkontakte nur mit der eigenen Mutter. Bemerkenswert sind zudem die Unterschiede zwischen beiden Individuen bei den Beziehungen zum eigenen Bruder, Daniel spielt mit seinem Bruder, Claudia hingegen sitzt in engem Körperkontakt mit diesem und putzt ihn.
Im vierten Lebensjahr ist also bereits das geschlechtstypische Verhalten ausgeprägt. Die Wahl der Sozialpartner und die Qualität der Interaktionen erlauben, Männchen und Weibchen voneinander zu diskriminieren“ ([255], Seiten 26-29).
„Ein unbeabsichtigter Kontrollversuch erlaubt, den Einfluss der Beobachter auf die protokollierte Häufigkeit bestimmter Verhaltensweisen zu testen. Das Geschlecht eines in der Gruppe geborenen Tieres wurde falsch bestimmt und das kleine Kapuzineraffenmädchen (35) als Männchen „Jonas“ (vgl. Tabelle 13.3) jahrelang beobachtet.89 Erst eine Gravidität im sechsten Lebensjahr (Jonas wurde zu Jonaine) erlaubte, den Irrtum zu korrigieren.
Zwar war dieser Kapuzineraffe kein „Focus-Tier“, Protokolle von Einzeltierbeobachtungen lagen nicht vor, doch wurde neben den Beobachtungen an bestimmten Individuen der Gruppe auch die gesamte Gruppe täglich eine Stunde lang protokolliert. Das vorliegende Datenmaterial erlaubt also zu fragen, ob das vermeintliche Geschlecht Einfluss auf das Protokollieren hat. Zum Vergleich werden Daten eines im gleichen Jahr geborenen Männchens, Carlos, angegeben. (Wir vergleichen also die Daten von zwei Individuen, die über vier Jahre als Männchen parallel beobachtet worden sind.



Abbildung 13.104: Kontaktsitzen und soziales Spiel


Betrachten wir vorerst nur das Kontaktsitzen90, so ist bemerkenswert, ..., dass Carlos dieses Verhalten in den ersten drei Lebensjahren häufiger zeigt als Jonaine, im vierten Jahr jedoch sitzt Jonaine häufiger mit ihrer Mutter im Körperkontakt.
Bei dem sozialen Spiel jedoch sind vom ersten Lebensjahr an die zu erwartenden Geschlechtsdifferenzen auffällig. Carlos spielt weitaus häufiger als Jonaine, beide entsprechen diesbezüglich dem bisherigen Wissensstand.
Betrachten wir nun die Befunde zur sozialen Körperpflege und im speziellen die Putzkontakte mit der eigenen Mutter, dann ist auffällig, dass beide im ersten Lebensjahr ausschließlich passive Partner sind. Während Carlos durchgehend der passive Partner bleibt, putzt Jonaine ab dem dritten Lebensjahr ihre Mutter häufiger als sie von dieser geputzt wird. Wir erhalten das gleiche Ergebnis wie bei den Einzeltierbeobachtungen und können somit den Einfluss der Beobachter auf das Ergebnis abschätzen, ein unbeabsichtigtes selektives Beobachten kann offensichtlich ausgeschlossen werden“ ([255], Seiten 32-33).



Abbildung 13.105: Soziale Körperpflege


Langfristige Haltungserfahrungen und Demographie der Gruppen

Nach der Separation von Bubi entfiel die Notwendigkeit, Gitterkontakt zur Don-Gruppe zu vermeiden, wir konnten dieser Gruppe (unserer wichtigsten Sozialgruppe) eine weitere Haltungseinheit zur Verfügung stellen. Die zwei kleinen Gruppen (Hoppediz-Gruppe und Erich-Gruppe) hielten wir parallel. Sie dienten hier 1987 und 1988 Martina Pec als Datenlieferanten für ihre Dissertation ([152]). Martina Pec berichtet in ihrer Arbeit, dass Erich für seine Weibchen (Erna und Lena) nicht attraktiv war, diese warben durch das Gitter um Don. Daher beschlossen wir, die beiden kleinen Gruppen zu fusionieren, was gelang. Unter dem Druck der mächtigen Nachbargruppe waren auch Hoppediz und Erich gemeinsam zu halten.
Die beiden Kapuzineraffengruppen hatten sowohl in den Innen- als auch in den Außengehegen ständigen Gitterkontakt, was sicherlich eine wichtige Voraussetzung für das relativ friedliche Zusammenleben in beiden Gruppen war und was nach meiner Einschätzung die gemeinsame Haltung so vieler erwachsener Männchen ermöglichte. Die Männchen beider Gruppen kämpften regelmäßig gemeinsam gegen die „Feinden“ in der Nachbargruppe. Bei den Beobachtungen konnte man den Eindruck gewinnen, das Zusammentreffen beider Gruppen mit direktem Kontakt würde zu sofortigen massiven Beschädigungskämpfen führen. Während der jahrelangen Haltung geschah es gelegentlich, dass das Sicherheitsschloss, das den Verbindungsschieber sicherte, den ständigen Rüttelversuchen91 der Kapuzineraffen nicht standhielt, so dass die Männchen beider Gruppen die tatsächliche Möglichkeit der Konfrontation hatten. In solchen Fällen stoppte der laute Kampf völlig, die großen kampfbereiten Männchen zogen sich sofort - lautlos - in die entferntesten Bereiche ihres Geheges zurück, so dass wir sehr leicht ein neues Schloss anbringen konnten.
Alle Affen in der Primatenstation wurden am Abend in die Innengehege gesperrt und erhielten erst am Morgen Zugang zu den Außengehegen bzw. wurden zum Reinigen der Innengehege ausgesperrt92 und durften erst nach dem Abtrocknen die Innengehege wieder betreten. Diese Routine nutzten die Kapuzineraffen beider Gruppen zum lauten Begrüßungsgeschrei, zweimal am Tag. Sie begrüßten sich am Morgen im Außengehege und am späten Vormittag im Innengehege. Sowohl das laute Kämpfen während des Tages als auch das laute Begrüßungsgeschrei dürften für die Kapuzineraffen wichtig gewesen sein.
In den Tabellen 13.4 und 13.5 habe ich die Zusammensetzung der beiden Kapuzineraffengruppen Ende 1996 angegeben.


Tabelle 13.4: Hoppedizgruppe 1996
---------------------------------------------------------------
-Name--------Geschlecht--Geb.--Datum----Mutter----Gro-ßmutter--
 Erich           m          (1968 )
 Hoppediz        m          (1973 )

 Erna            f          (1973 )
 Purzel          f          (1974 )
 Florian         m        16.08.1980     Migga
 Manuel          m        12.06.1982     Migga

 Moritz          m        06.05.1986     Migga
 Kristina        f        18.05.1987     Erna
 Ursus           m        15.05.1989     Dido        Migga
 Eusebia         f        24.03.1990     Erna
 Diana           f        12.03.1993     Dido        Migga

 Elena           f        07.04.1993     Erna
 Alice           f        15.10.1993     Migga
 Ethel           f        17.09.1994     Erna
 Elka            f        23.08.1995     Erna
 Eva             f        20.07.1996    Eusebia      Erna

-Plato-----------m--------07.08.1996-----Purzel----------------

In der Hoppediz-Gruppe (Tabelle 13.4), in der aber Hoppediz nicht mehr dominierte, Florian und Manuel waren attraktiver für die Weibchen dieses Sozialverbandes ([39]), lebten noch vier der ursprünglich importierten Tiere. Insgesamt bestand die Gruppe im November 1996 aus 17 Individuen, sechs adulten Männchen, vier adulten Weibchen, 5 juvenilen Weibchen und zwei Kindern. Sowohl Erna als auch Purzel waren noch reproduktiv aktiv. Purzel hatte eine sehr periphere Stellung.93 In der Hoppediz-Gruppe war Migga das dominierende Weibchen. 1995 erkämpfte sich Erna (unterstützt durch ihre Tochter Kristina) diese Position, Migga und Dido mussten wir separieren. Ihre erwachsenen Söhne waren keine Hilfe. Die nach diesen Konflikten geborene Erna-Tochter Elka wurde von Eusebia am Tag nach der Geburt adoptiert und aufgezogen ([39]). Katharina Klewitz beobachtete die Hoppediz-Gruppe in den letzten zwölf Wochen vor der Entfernung aus der Primatenstation (Mitte April 1997). Purzels Position hatte sich relativ verbessert, da nun auch Diana94 ohne weibliche Verwandte sich mit einer Randposition abfinden musste. Katharina Klewitz verglich sorgfältig die soziale Entwicklung der beiden in der Gruppe lebenden Kinder.95 Ihre Hypothese, Purzels Stellung würde sich wieder mit zunehmender Selbständigkeit verschlechtern, konnte nicht mehr überprüft werden. Jedenfalls bestand die Hoppediz-Gruppe vor der Abgabe im Wesentlichen aus den Weibchen des Erna-Clans und den adulten Migga-Söhnen, wobei bei den Augsburger Kapuzineraffen (s. o.) phänotypisch Migga besonders repräsentiert war.
Sowohl an der Hoppediz- als auch an der Don-Gruppe erhob Michael Dulitz auch umfangreiches Datenmaterial zu Änderungen des Verhaltens im Verhaltensoestrus und nach Geburten ([39]), die an die bisherigen Befunde anschließen.

In der Don-Gruppe (Tabelle 13.5) lebten Ende 1996 36 Individuen, mit Ausnahme von Don und Teufel waren alle Gruppenmitglieder bei uns geboren. Dreizehn männlichen Gruppenmitgliedern, acht von ihnen adult, drei Kinder. Von den 23 weiblichen Individuen waren 13 adult. Fragen wir nach der Repräsentanz unserer Gründerweibchen, dann lebten weibliche Nachkommen von Sylvia, Teufel, Ama und Erna in diesem Sozialverband. Dabei ist eigentlich der relativ hohe Anteil von Amas Nachkommen überraschend, hatte doch Ama selber nur eine Tochter (Kim) hinterlassen. Don und Teufel waren sehr alt, dennoch aber äußert mächtige Gruppenmitglieder. Wie bereits ausgeführt (s. o.) hatten die Clan-Mütter Kim und Claudia auch über Teufel Sozialkontakte. Wie alte Menschen sahen Teufel und Don jedoch nicht mehr „jung und knusprig“ aus, ihr Haarkleid war schütter geworden. Insofern wollten die von Verantwortlichen der Hochschule ausgesuchten neuen Halter diese beiden Persönlichkeiten nicht übernehmen. Die Verantwortlichen gaben meine beiden wunderbaren Freunde verantwortungslos als Beschäftigungsobjekte für demente Alte in einem Altenheim ab. Unabhängig davon, dass beide nicht zahm, vielmehr ausgesprochen wehrhaft waren, sind Kapuzineraffen als Spielzeuge ungeeignet. Beide hätten ein besseres Schicksal verdient.



Abbildung 13.106: Kim



Tabelle 13.5: Dongruppe 1996
---------------------------------------------------------------------------------
-Name--------Geschlecht---Geb.-Datum------Mutter----Gro-ßmutter---Urgro-ßmutter--
 Don             m           (1966)
 Teufel           f          (1968)

 Toko            m         18.06.1976      Teufel
 Edith            f        11.07.1977     (Teufel)
 Kim              f        20.08.1977       Ama
 Sarah            f        22.05.1979      Sylvia

 Isabelle          f        20.06.1979      Teufel
 Christian       m         12.07.1979       Page
 Carlos          m         17.11.1980       Erna
 Justus          m         25.09.1981      Teufel
 Philipp         m         24.08.1983      Sylvia

 Stephanie        f        22.07.1984      Sarah        Sylvia
 Karin            f        10.09.1984       Kim          Ama
 Jim             m         18.05.1986      Teufel
 Silke            f        18.06.1986      Sarah        Sylvia
 Sandra           f        07.10.1986      Sylvia

 Pia              f        14.11.1987      Petra        Sylvia
 Karoline         f        21.12.1988       Kim          Ama
 Miratus         m         29.04.1989     Isabelle      Teufel
 Franziska        f        10.07.1989      Sarah        Sylvia
 Casparia         f        07.08.1991     Claudia        Erna

 Elvis           m         19.09.1990      Edith       (Teufel)
 Paula            f        25.05.1991      Petra        Sylvia
 Carmen           f        07.08.1991     Claudia        Erna
 Kamilla          f        27.11.1991      Karin         Kim           Ama
 Kurtisane        f        16.05.1992       Kim          Ama

 Sunny            f        02.06.1992      Sarah        Sylvia
 Annette          f        21.12.1993      Karin         Kim           Ama
 Else             f        10.10.1994       Silke        Sarah          Sylvia
 Simson          m         18.06.1995    Stephanie      Sarah          Sylvia

 Ida              f        17.07.1995     Isabelle      Teufel
 Sita             f        04.08.1995      Sarah        Sylvia
 Falla            f        26.08.1995    Franziska      Sarah          Sylvia
 Sato            m         31.07.1997      Sarah        Sylvia
 Paris           m         19.08.1996      Paula        Petra          Sylvia

-Sollo-----------m---------09.09.1996------Sandra-------Sylvia--------------------



Abbildung 13.107: Claudia


In den Medien tauchen immer wieder angeblich zahme Kapuzineraffen auf, als „helfende Hände“ wird ihnen fast der Status von Hilfspersonal zuerkannt. Diese Kapuzineraffen sind aber hart trainierte Individuen, die mit hohem Aufwand begleitet werden müssen. Sie haben tatsächlich auch eine wichtige Funktion für Hilfsbedürftigte mit schweren Gebrechen. Diese werden durch die Affen ansprechbarer, wir Mitmenschen können mit dem Hilfsbedürftigen über den Affen kommunizieren, wir können ihn nach seinem Helfer befragen, wodurch Frager und Befragter profitieren. Man kann sich darüber sicherlich streiten, ob dieser Umstand hinreichend ist, um den hohen finanziellen Aufwand für entsprechende Forschungsprojekte zu rechtfertigen. Ohne Zweifel tut man dem trainierten Affen keinen Gefallen.
Auf dem Weg zum Verstehen einer Kapuzinergesellschaft bin ich in den Jahren in Kassel weit vorangekommen, gesicherte Angaben zur Menopause und zum Höchstalter konnte ich nicht mehr leisten. Unsere Individuen mit bekannter Vorgeschichte sind leider zu beliebigen Kapuzineraffen verkommen.

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#Kapuzinera#ffen##sind#in#S#¨udamerika##weit#verbreitet.#Die##hier#besprochenen##
#Gehaubten###Kapuzinera#ffen##leben##in#gro#ßen#Sozialgruppen.###Ihr#Gewicht##
#betr¨agt##etwa###3-3,5##kg.####Unsere###gro#ßen##M#¨annchen##wogen###¨uber##5kg.#
#Kapuzinera#ffen##lassen##sich##bei#ausgewogener##vitamin#-#und##proteinreicher#
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#Di¨at#mehr##oder#weniger##problemlos#halten#und##z¨uchten.##Weibchen##stellen#
#jedoch#hohe#Anforderungen###an#ihre#Sexualpartner.#Ist#das#M#¨annchen##nicht#
#attraktiv##bzw.###nicht##mehr##attraktiv,##z¨uchten##sie##nicht.###Mit##unseren#
#Untersuchungen###haben##wir#die#hohe#Bedeutung###der#Verwandtschaft##(¨uber#
#die#Mutter#)#f¨ur##das#Individuum##belegt,#Untergruppen###d¨urften#Matriclane#
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#sein.##Nachgezogene###M#¨annchen##verlassen#ab##dem##Alter#von##sechs##Jahren#
#die#Untergruppe##der#Mutter##und##sind##dann#-#im##Gegensatz##zu#T¨ochtern##-
#keine#verl¨asslichen#Partner##mehr.##Untergruppen###bleiben#¨uber##Jahrzehnte#
#stabil.#Geschlechtsunterschiede#im#Verhalten#sind#auff#¨allig#und#durchgehend##
#ab#dem#ersten#Lebensjahr#belegbar.#Grunds#¨atzlich#pr¨aferieren#alle#Individuen#
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#gleichgeschlechtliche#Sozialpartner.#Ihre#F¨ahigkeit,#Werkzeuge##zu#benutzen,#
#f¨uhrt#dazu,##dass#diese#¨außerst#gelehrigen##Tiere#h¨aufig##mit##Schimpansen##
#verglichen#werden.##Doch##ist#dieser Vergleich#nur#sehr#beschr¨ankt#berechtigt.
#Im#Gegensatz##zu#den#Schimpansen##denken#Kapuzinera#ffen##¨uber#ihr#Verhalten#
#nicht#nach.####Sie##manipulieren##und##h¨ammern####nach##einem##angeborenen##
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#Programm.####F¨ur##den#menschlichen##Haushalt##sind#Kapuzinera#ffen##nur#bei#
#sehr hoher#Toleranz#der sie p#flegenden#Menschen#geeignet,#da#Kapuzinera#ffen
#durch##das#Harnwaschen###stets#klebrige#H#¨ande#und##F#¨uße##haben.###Zudem##
#zerlegen##sie##gerne##ihre##Umgebung####und###hantieren##mit##Gegenst#¨anden.#
#Derjenige, der#dies toleriert#bzw.#der#an#den#Aktivitaten#(z.#B.#Abdecken#von
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#D#¨achern)#seine#Freude##hat,#wird#in#einem##Kapuzinera#ffen#¨uber##Jahrzehnte#
#einen##liebenswerten###Begleiter#finden,##beachten##doch##Kapuzinera#ffen##auch#
#schnell bestimmte#Verbote.#################################################

1Der Text des ersten Teils des Berichts über Kapuzineraffen ist streckenweise wortidentisch mit einer 1979 veröffentlichten Arbeit ([241]) und einem Beitrag, den ich gemeinsam mit Petra Pippert und Cornelia Witt in der Zeitschrift des Kölner Zoo 1983 veröffentlicht habe ([277]).

2Angela Nolte stellte mir auch ihre Bilddokumente ihrer Kapuzineraffen Pablo, Suse und Bambino zur Verfügung. Einige dieser Bilder werden Bestandteile meines Berichtes sein.

3Für ihr Entgegenkommen danke ich Frau Direktor Dr. Barbara Jantschke.

4Die besten Beobachtungsgebiete gibt es nach Aussagen von Kollegen in der Nähe von nur mit dem Hubschrauber erreichbaren Ölförderungsfeldern.

5Zwei der Individuen wurden in Kassel in der Hoppediz-Gruppe geboren, Erna trug bei uns den Namen Kristina, Purzel den Namen Plato.

6Auch bei Kapuizineraffen kann man sich bei der Geschlechtsbestimmung täuschen (vgl. Abb. 13.39).

7Die Entwicklung des Sozialgefüges heranwachsender Kapuzineraffen, Cebus apella cay, unter besonderer Berücksichtigung des ersten halben Lebensjahres. Staatsexamensarbeit (1983)

8Zu den sozialen Beziehungen männlicher und juveniler Kapuzineraffen, Cebus apella, unter der besonderen Berücksichtigung von Verhaltensänderungen bei Oestren und Geburten. Staatsexamensarbeit (1984).

9Brinkmann, C.: Zum Sozialverhalten von Cebus apella cay Illiger, 1815 in Gefangenschaft: Die experimentelle Bildung einer Gruppe. Wissenschaftliche Hausarbeit zur ersten Staatsprüfung für das Lehramt für die Mittelstufe an der Geamthochschule Kassel. Kassel, 15. September 1978.

10Pippert, P.: Zur Entwicklung des sozialen Beziehungsgefüges heranwachsender Kapuzineraffen Cebus apella cay (ILLIGER, 1815) in Gefangenschaft. Wissenschaftliche Hausarbeit zur ersten Staatsprüfung für das Lehramt für die Mittelstufe und die Oberstufe an der Gesamthochschule Kassel. Kassel, 28. April 1982.

11Schulz, S.: Soziale Beziehungen adulter Kapuzineraffenweibchen, Cebus apella, unter besonderer Berücksichtigung des Einflusses der Östren und Geburten auf die Stabilität des Sozialgefüges. Wissenschaftliche Hausarbeit zur ersten Staatsprüfung für das Lehramt für die Mittelstufe an der Gesamthochschule Kassel. Kassel, 20. September 1983.

12Dulitz, M.: Parameter des sozialen Beziehungsgefüges in einer etablierten Sozialgruppe des Gehaubten Kapuzineraffen Cebus apella. Wissenschaftliche Hausarbeit zur ersten Staatsprüfung für das Lehramt für die Mittelstufe und die Oberstufe an der Universität Gesamthochschule Kassel. Kassel, 11. April 1995.

13Klewitz, K.: Der Einfluss der Sozialpartnerwahl der Mutter auf die Sozialpartnerwahl des Kindes in einer etablierten Sozialgruppe des Gehaubten Kapuzineraffen Cebus apella. Wissenschaftliche Hausarbeit zur ersten Staatsprüfung für das Lehramt an Gymnasien. Kassel, 20. Februar 1998.

14Leider muss ich bekennen, dass das Filmen eine problematische Form der Befunderhebung ist. Die Auswertung der Filmaufnahmen dauert extrem lange, zudem „sieht“ man selbst bei unserer aufwendigen Befunderhebung mit zwei Kameras gleichzeitig (Übersichtsbild und geführte Kamera mit Zoom) weit weniger als ein trainierter Beobachter. Dies waren die Gründe, warum ich später in der Primatenstation trotz optimaler Bedingungen (Videoanschluss in jedem Raum, optimierte Führung der Kameras) dann völlig auf Videoaufzeichnungen verzichtet habe.

15Meinel war bewusst, dass man Primaten nur dann verantwortbar verbrauchen könne, wenn man diese selber züchten würde.

16Die Tatsache, dass es sich bei den Tieren um Babies handelte, war uns damals aber noch nicht bewusst. Heute bin ich sicher, hätten wir uns über die berechtigten restriktiven Importbestimmungen hinweggesetzt und die Babies einzeln und mit engem Kontakt zum Menschen „gehändelt“, hätten mehrere Individuen eine Überlebenschance gehabt. Freilich wäre dies mit Gesundheitsgefahren für den menschlichen Betreuer verbunden gewesen. Diese Risiken habe ich persönlich nie gescheut. Bei zahlreichen Importen (vor dem Neubau der Primatenstation) fand die Quarantäne dann in meinem Privathaus statt, so wurden die Mitarbeiter in der Tierpflege (und die übrigen Primaten) vor möglichen Infektionen bewahrt.

17Meine Hauptaufgabe in dieser Zeit war es, die neuen Räumlichkeiten überhaupt „benutzbar“ zu machen. Die Räume wurden (trotz aufwendiger Klimaanlage) nicht warm, hier schaffte ein Umbau der Abluftkanäle Abhilfe, wir verlegten diese auf den Boden, so dass die warme Luft nun von der Klimadecke durch den jeweiligen Haltungsraum „hindurchgesogen“ wurde.

18Der Käfig 5 war unterteilt.

19Diese Forderung war nicht risikolos, sollte es doch nicht möglich sein, erwachsene neu importierte Kapuzineraffen am Leben zu halten: „Alte Kapuziner wollen sich nicht an die Gefangenschaft gewöhnen: sie werden traurig, verschmähen, Nahrung zu sich zu nehmen, lassen sich niemals zähmen und sterben gewöhnlich nach wenigen Wochen ([68], Seite 490).

20Bei dem zweiten Import fielen die geschwächten Importtiere auf den gefliesten Käfigboden, ich konnte nicht ausschließen, dass auch der Absturz zum Tod der Tiere beigetragen hatte.

21Nach neuester Systematik [141] wären heute unsere Cebus apella cay „richtig“ als Sapajus cay zu bezeichnen, Bubi wäre einer anderen Art, Sapajus libidinosus, zuzuordnen. Unsere Zuchterfolge der Vergangenheit, über die ich berichte, erlauben berechtigte Zweifel, ob diese systematische Aufspaltung auf Artenniveau berechtigt ist.

22Die Individuen dieses Transportes werden im Text als B-Tiere bezeichnet.

23Bei der Fusion beider Gruppen am 19. August 1975 war auffällig, dass gleich nach Öffnen des Verbindungsschiebers alle Tiere der A-Gruppe die Außenkäfige aufsuchten, während die Männchen der B-Gruppe und die Weibchen Erna und Ama den Käfig der A-Gruppe (Käfig V der Haltungsskizze) untersuchten. Erste soziale Kontakte waren nur zwischen den Männchen beider Gruppen zu beobachten; sie beschränkten sich auf Aufreiten und Kampfspiele, anfangs waren hier die Männchen der B-Gruppe aktiv, 15 Minuten nach Fusion stieg jedoch auch Tschiggo bei Iggo auf. Am Abend des folgenden Tages waren sechs Schlafgruppen zu beobachten, nämlich (1) Bubi/Hoppediz, (2) Tschiggo/Purzel, (3) Teufel/Inge/Primus, (4) Baja/Migga, (5) Erich/Iggo/Erna, (6) Erwin/Sanga/Ama, die über alle fünf Innenkäfige verteilt waren.
In den folgenden Tagen bildeten sich drei Untergruppen, nämlich (1) eine reine Männchenuntergruppe, bestehend aus Bubi/Tschiggo/Hoppediz, also allen Männchen der A-Gruppe, und den drei neu hinzugekommenen Männchen Erich/Erwin/Iggo - wobei bemerkenswert ist, dass kein B-Gruppen-Männchen bzw. kein B-Gruppentier zu Bubi aktiv sozialen Kontakt aufnahm bzw. aufnehmen konnte, (2) eine reine Weibchenuntergruppe Ama/Sanga/Migga, wohl auf Sanga zentriert, zu der auch das solitäre Weibchen Baja Kontakt aufzunehmen versuchte; (3) Teufel/Inge/Primus; daneben die beiden Weibchen Purzel und Erna, die relativ unattraktiv für andere Gruppenmitglieder waren und Tendenzen zur Männchenuntergruppe zeigten).
Zwischen den Individuen einer Untergruppe konnten keine agonistischen Aktivitäten beobachtet werden. Agonistische Interaktionen richteten sich besonders gegen die Nur-Weibchengruppe.

24Bei den parallel gehaltenen und beobachteten Javanermakaken (Kapitel 14) dagegen wirkte jede Kopulation wie eine Vergewaltigung, insofern sympathisierten meine Mitarbeiterinnen mit den Kapuzineraffen.

25„In this species cycling females show active courtship behavior; they closely follow the males searching for proximity and body contact. During courtship, female’s facial expression consists of raised eyebrows and forehead, ears drawn back flat against the head and mouth corner drawn backward. Furthermore, she vocalizes and looks for eye-to-eye contact with the partner. Her most important aim, however, is to make the male follow her. In absence of this response no copulation will occur. Especially at the beginning, the male can be reluctant. Female courtship can last hours and even days without being reciprocated, and can also fail. In general, however, the female’s persistent and continuous attempts to elicit her partner’s interest are successful and a coordination of their behavior patterns is attained. Eye-contacts, play (cuff, chase and approach-withdrawal interactions), arm raised and chest caressing sitting in front of each other, body contact, become more and more frequent prior to copulation“ ([228], Seite 164).

26Diese wollte aber mit Makaken arbeiten und war an den Kapuzineraffen - im Nachhinein glücklicherweise - nicht interessiert.

27Als zweifelhaftes Geschenk erhielt ich also zusätzlich ein kleines kräftiges und gesundes Kapuzinermädchen, das bei uns in Grifte aufgezogen wurde. Über Edith und den durch dieses Weibchen ermöglichten Erkenntnisgewinn werde ich noch mehrfach berichten.

28Wir hatten statt drei nun fünf Kapuzineraffengruppen.

29In der damaligen Kapuzineraffenhaltung hatten wir mehrere nach unten offene Schlafkästen installiert, in denen sich bedrängte Tiere zurückziehen konnten, diese haben sich aber nicht bewährt, vielmehr konnten diese zur Falle werden.

30Zu gefährlichen Auseinandersetzungen kommt es nur, wenn sich in einem Gehege zwei Männchen begegnen, die sich für dominierend halten. Dann entscheidet ein Kampf, wer endgültig dominiert. Das unterlegene Männchen gibt jedoch nicht auf. Im Freiland dürfte es auswandern, in Menschenobhut müssen wir es - um Verluste zu vermeiden - separieren.

31Diese Entscheidung musste ich alleine treffen, meine Mitarbeiter waren gegen diese Introduktion, sie wollten Bubi separat halten.

32Gerade Bubi war bis zur Ankunft von Don unbestritten dominierend. Er blieb es für die übrigen Kapuziner: Ein physisch kräftiges, unbestritten dominierendes, jungadultes Männchen (Iggo) lebt gemeinsam mit seiner Gruppe seit Monaten in einem Gehege. Plötzlich betritt ein altes, fast bewegungsunfähiges, zudem verletztes Männchen den Käfig. Der Ausgang dieses Experimentes scheint klar. In der Tat aber kletterte Bubi mühselig auf ein hochgelegenes Brett, während Iggo auf den Boden sprang und stereotyp im Kreis herumzulaufen begann. Er hielt sich nicht für dominierend und gab sofort auf. Aus der Iggo-Gruppe wurde die neue Bubi-Gruppe.

33Die Gruppen bezeichneten wir immer nach dem jeweils dominierenden Männchen.

34Besonders intensiv jagten und verfolgten Teufel Sylvia und Primus Jens, zu dem Primus bisher keinerlei Kontakt aufgenommen hatte. In dem Haltungsraum drohten darüber hinaus auch alle Tiere der Erwin-Gruppe den neu importierten Kapuzinern. Nach dem Einsperren der Don-Gruppe in die Innenkäfige stellten sich sofort die alten Konstellationen wieder ein. Zwei weitere Versuche erbrachten das gleiche Ergebnis: kollektives Drohen fast aller Tiere der A- und der B-Gruppe gegenüber Don, wobei nur Bubi sich nicht beteiligte, Verfolgen von Sylvia durch Teufel und von Jens durch Primus.

35In der Don-Gruppe war Teufel zunächst dominierendes Weibchen. Sie bedrohte gemeinsam mit Toko außer Don alle anderen Tiere der Gruppe. Sylvia und Lena drohten zudem auch Page, Dunka und Jens, vor allem Page und Dunka.

36Der Bericht über die Fusion ist mehr oder weniger identisch mit einem gemeinsam mit Claudia Brinkmann und Cornelia Schäfer 1980 publizierten Beitrag ([254]).

37Wie bereits beschrieben war für die drei adulten Tiere, die demselben Import (B-Gruppe) entstammten, kennzeichnend die Unmöglichkeit, sie gemeinsam mit einem Weibchen, Teufel, zu halten, da sie von diesem Weibchen sofort verfolgt, gejagt und gebissen wurden. Dementsprechend drohte Teufel auch häufig aus den Nachbarkäfigen (Käfig 5, 6, 7). Die Erwin-Gruppe war ausgewogen, agonistische Interaktionen konnten innerhalb der Gruppe nicht beobachtet werden.

38Es sei hier noch bemerkt, dass nach der Separierung von Jens aus der Don-Gruppe Toko anfangs immer wieder am Zwischengitter saß und Jens Bewegungen mit den Augen verfolgte. Ebenfalls unterbrach der jetzt solitär spielende Toko, sobald Jens sich dem Käfig näherte, sogleich sein Spiel. Jens schien dieses Verhalten jedoch kaum zu beachten. Nach etwa einer Stunde gab Toko offensichtlich auf und wandte sich vornehmlich wieder dem eigenen Spiel, sowie auch dem Kampfspiel mit einem neuen Spielpartner, Don, dem stärksten Männchen der Gruppe, zu. Dies war besonders auffällig, da Don, als Jens noch in der Gruppe war, nicht spielte. Bei dem nun zu beobachtenden Kampfspiel zwischen Don und Toko zog Don Toko an Schwanz, Händen und Füßen, wobei beide den Mund weit geöffnet hatten. Weiterhin ist bemerkenswert, dass sich Teufel (B) und Toko bereits einen Tag nach Separierung von Jens (C) (im Gegensatz zu den bisherigen Beobachtungen) häufig auf dem Boden der Käfige bewegten, während Lena (C) und Sylvia (C) sich vorwiegend in den oberen Käfigbereichen aufhielten und nun auch nicht mehr bedroht wurden. Zudem fiel auf, dass Teufel nun positiven sozialen Kontakt zur benachbarten Gruppe aufnahm. So saßen Jeanette und Teufel, nur durch das Gitter getrennt, beieinander und „schmatzten“ sich zu. Auch Toko zeigte dieses Verhalten gegenüber Jeanette. An dieser Situation änderte sich bis zum 04. 01. 1978 nichts mehr.

39Agonistische Interaktionen waren nach Introduktion von Ama weitaus häufiger zu beobachten. Vor allem drohten nun Ama (B) und Sanga (B) gemeinsam Jens (C), Page (C) und Dunka (C). Diesem Drohen schloss sich, wenngleich selten, Jeanette an. Teufel (B), wieder dominierendes Weibchen, drohte hingegen selten, jedoch auch Ama (B) und Sanga (B). Den positiven und negativen Interaktionen zufolge, hatte sich die Erwin-Gruppe bereits am ersten Tag nach Amas Introduktion in zwei feste Untergruppen gespalten, nämlich in die Gruppe der stark bedrohten Tiere Dunka (C), Page (C), Jens (C), wobei Dunka und Page untereinander positiv sozialen Kontakt suchten, und in eine größere Untergruppe, bestehend aus Teufel (B), Toko, Ama (B), Sanga (B) und Jeanette. Erwin (B) nahm eine neutrale Position zwischen beiden Untergruppen ein.

40An agonistischen Aktivitäten war Lena aktiv nicht beteiligt. Sie wurde jedoch gemeinsam mit Page (C), Dunka (C) und Jens (C) von Teufel (B), Ama (B) und Sanga (B) bedroht, worauf sie sich jeweils an das Gitter zu Don und Sylvia zurückzog.

41Edith lebte bis zum 20.01.1978 in unserem Haus in Grifte ohne Kontakt zu Kapuzineraffen. Dann überführten wir sie mit ihrem Grifter Haltungskäfig in den Kapuzinerraum. Am ersten Tag saß Edith nur auf dem Käfigboden. Claudia Brinkmann berichtet über diese Introduktion in ihrer Examensarbeit. „Schon am nächsten Tag beobachteten wir, dass Edith - wie vorher - in ihrem Käfig umhersprang und sich offensichtlich nicht mehr an den anderen Tieren störte. Toko und Jeanette waren besonders interessiert an dem jungen Kapuziner. Sie versuchten, durch dass Gitter zu greifen, wohl, um mit Edith zu spielen“ (Seite 75). Edith war noch ein Flaschenkind. Von mir angebotenes festes Futter nutzte sie eher zum Spielen. In den folgenden Wochen wurde sie dann zunehmend entwöhnt. Bereits am 01.02.1978 kostete sie erstmal unseren Futterbrei, ab dem 11.02.1978 nahm sie täglich eine mit einem Esslöffel portionierte Menge an Quarkbrei zu sich, ab dem 19.02.1978 konnten wir diese Menge verdoppeln bzw. (ab dem 13.03.1978) verdreifachen. Am 16.03.1978 hängten wir für Edith in Käfig 4 einen umgebauten Schlafkasten auf, in dem wir sie ohne Risiko (wir hatten ein feinmaschiges Gitter gewählt) mit Kapuzinern vertraut machen konnten. In dem Käfig 4 hielten wir nur Sanga, die übrigen Mitglieder der Don-Gruppe waren in Käfig 3 abgetrennt. Diesen Kasten öffneten wir noch am gleichen Tag für eine Stunde. Edith kletterte vorsichtig auf diesem herum. „Nach einer halben Stunde kletterte Edith erstmalig vorsichtig am Gitter herunter auf den Boden, lief hier ausschließlich biped umher, ein Verhalten, welches ich (Claudia Brinkmann) zwar bei anderen Kapuzinern auch beobachten konnte, jedoch keineswegs mit dieser Häufigkeit. ... Edith zeigte in dieser ersten Stunde nicht das sonst zu beobachtende Fressverhalten der Kapuziner, die gebotenen Nahrungsstücke in die Hand zu nehmen, damit in höhere Käfigbereiche steigen und sie dort unter Zuhilfenahme der Hände zu fressen. Sie biss dagegen von der am Boden liegenden Nahrung ein Stück ab und lief dann kauend weiter im Käfig herum. In dieser Stunde duldete Edith auch keine Berührungen durch andere Kapuziner. Sie schrie dann laut auf und sprang entsetzt davon. Dieses Verhalten zeigte sie mehrfach gegenüber Toko, der Edith häufiger durchs Gitter spielerisch am Schwanz zog“ (Seite 76-77). Claudia Brinkmann berichtet, dass Edith in den nächsten Tagen sich sicherer und auch quadruped bewegte, sie sprang zwar schnell weg (in ihren Kasten), wenn Toko sie berührte, schrie aber nicht mehr. Auch beobachtete sie, dass Sanga und Don (aus dem Nachbarkäfig) Menschen bedrohten, versuchten diese, mit Edith zu interagieren. Am 21.03.1978 ließen wir Sangas Tochter Jeanette dazu. Edith hatte vor dieser offensichtlich keine Angst, folgte ihr sogar, soziale Kontakte konnten nicht beobachtet werden. Nämliches galt nach der Introduktion weiterer Kapuzineraffen. (Wir ließen noch am Abend des gleichen Tages Teufel mit ihrer 24 Tage alten Tochter und in den folgenden Tagen Don und Dunka hinzu.) „Nach mehr als einmonatiger gemeinsamer Haltung mit Kapuzinern wechselte Edith erstmalig ohne fremde Hilfe unter dem Käfiggitter durch zur Restgruppe. Von nun an wurde dieser Wechsel häufiger beobachtet. Allerdings blieb Edith auch im anderen Käfig ohne Sozialkontakte. Um zu klären, ob Edith besondere Beziehungen zu anderen Kapuzinern aufgebaut und ein Gruppenbewusstsein entwickelt hatte, überführten wir Don, Teufel (mit Isis), Sanga, Dunka und Jeanette wieder in den Käfig 3 zurück und sperrten Erwin, Jens, Toko, Page und Lena in Käfig 4 ab. Edith hatte, wie bereits erwähnt, die Möglichkeit, zwischen den Käfigen 3 und 4 zu wählen und entschied sich wohl unabhängig von den anderen Artgenossen für Käfig 4. ... (Für Edith) dürfte die vertrautere Umgebung attraktiver gewesen sein als vertrautere Artgenossen. Gleich am ersten Tag wurde positives Sozialverhalten Edith gegenüber deutlich, so ließ sich Edith von Erwin ohne Gegenwehr betasten. Am dritten Tag nach dem Käfigwechsel zeigten Toko und Edith zum ersten Mal Spielverhalten. Von nun an häufte sich das Spielverhalten, wobei vornehmlich Kampfspiele zu beobachten waren. Auffälligerweise spielte Edith ausschließlich mit männlichen Artgenossen und präferierte dabei das jüngste Männchen Toko eindeutig vor Jens und Erwin“ (Seite 78). Wir setzten dann Toko am 11.04.1978 in die Don-Gruppe zurück. Edith blieb in Käfig 4 und spielte solitär, besuchte aber regelmäßig Toko im Nachbarkäfig. „Bei einem dieser Wechsel zur Don-Gruppe am 13.04.1978 konnte beobachtet werden, wie Edith sich zunehmend den neuen Käfig erschloss: Der Verbindungsgang zum Außengehege war für die Don-Gruppe geöffnet, Teufel und Toko saßen in Käfig 3 nebeneinander. Dazu kam Edith und sogleich spielten Edith und Toko miteinander. Als nach einer Weile Teufel aufstand und in den Außenkäfig lief, folgte ihr Toko. Edith lief Toko nach, blieb aber an der Öffnung des Verbindungsganges zurück, um dann, wenn Toko mit Teufel in den Innenkäfig zurückkam, das Spiel wieder aufzunehmen. Dieses wiederholte sich dreimal. Zunehmend folgte Edith auch in den Gang, ging aber nie ins Freie und kehrte sofort zurück, sobald ein anderes Tier von den Außenkäfigen aus den Gang betrat. Als Toko das vierte Mal das Spiel unterbrochen hatte, ..., folgte nun auch Edith zögernd durch den Gang ins Freie, wo sie sich nur kurz und äußerst vorsichtig bewegte und auch draußen ohne Kontakt zu Toko blieb“ (Seite 79).

42In der Tabelle habe ich zwei Namen in Klammern angegeben. Jonas war kein Junge, er erhielt Jahre später den Namen Jonaine (s. u.). Teufel war nur die biologische Großmutter von Ediths Kindern.

43Bubi wurde nicht schwer verletzt, war aber ständiges Ziel von Erichs Attacken und schien „psychisch“ nicht den Verlust der dominierenden Position zu ertragen. Seine physische Konstitution wandelte sich dramatisch, ein fatales Ende konnte erwartet werden. Daher separierten wir ihn und hielten ihn allein ([248]).

44Das abendliche Einsperren der Kapuzineraffen gestaltete sich für mich persönlich immer schwieriger. Wir mussten zum Einsperren den Außenkäfig betreten und den Durchgang nach Innen mit einer Klappe schließen. Dies war für mich eigentlich problemlos zu erledigen (meine Mitarbeiter benötigten teilweise einen Wasserschlauch, um den Affen die Dringlichkeit des Einsperrens nahezubringen.) Dies änderte sich aber schlagartig nach Bubis Reintroduktion in die Hoppediz-Gruppe. Sobald Bubi mitbekam, dass ich diese Gruppe einsperren wollte, raste er heraus, setzte sich auf einen meiner Schuhe und drohte massiv Hoppediz. So verbrachte ich überredend manchmal viel zu viel Zeit vor der Schieberklappe, von innen drohte Hoppediz massiv und schlug gegen die Klappe, von außen Bubi, und ich stand da, jederzeit damit rechnend, dass Hoppediz mich beißen würde. Hierdurch bedingt war dann auch Hoppediz der einzige Kapuzineraffe, dem ich bei dem Abendrundgang nichts zustecken konnte. Einmal steckte ich ihm ein Futterpellet in den Mund, sagte: „So schlimm bist du gar nicht!“und machte den Fehler, ihm noch ein weiteres Stück geben zu wollen. Hoppediz erinnerte sich an seine Feindschaft und biss zu. (Mein Finger hat dies überstanden).

45Bei der handaufgezogenen Edith protokollierte ich bereits am vierten Lebenstag das Sichkratzen mit einer Hinterextremität, am elften Lebenstag das Sichkratzen mit der linken Hand. Klammerte sie sich anfänglich fast bewegungslos an ihren Fellhandschuh, kletterte sie bereits am achten Lebenstag aus dem Korb und am zwölften Lebenstag auf meine Hand. (Mit ihrem Rollschwanz konnte sie sich bereits am fünften Lebenstag am menschlichen Finger festhalten.)

46Edith kletterte am 48. Lebenstag erstmals aus ihren Käfig und am 62. Lebenstag auch vom Gitter auf meinen Schoß.

47Edith spielte in ihrem dritten Lebensmonat mit uns und mit Gegenständen und lief am 75. Lebenstag erstmals auf dem Boden des Zimmers herum.

48Im vierten Lebensmonat kletterte Edith auf unsere Schultern und aß erstmals festes Futter (Banane) aus dem Mund meiner Frau. (An angebotener Nahrung hatte sie kein Interesse.) In diesem Monat begann sie zu springen und überbrückte Distanzen von 60 cm dabei mühelos.)

49Insofern sind die engen sozialen Beziehungen der drei dominierenden Männchen in der Don-Gruppe, über die ich noch berichten werde, besonders hervorzuheben.

50Eines Morgens saß ich in der Cafeteria mit meinen Mitarbeitern, da setzte sich ein mir bis dahin nicht bekannter Mathematiker an unseren Tisch und sagte: „Wir nennen Sie nur noch den Affenzauberer“. Wie kam ich zu dieser Ehre? Die Außenanlagen auf dem Werkstattgebäude waren von den gegenüberlegenden Büroräumen gut einsehbar. So konnten - von mir unbemerkt - zahlreiche Zuschauer folgende Episode beobachten. Bubi war meinen Tierpflegern entwischt. Verzweifelt und erfolglos versuchten diese ihn in seinen Käfig zurückzudrängen. (Bubi reagierte bei Bedrängungen jeglicher Art mit Angriff.) Schließlich riefen sie mich an und baten um Hilfe. Natürlich eilte ich herbei, betrat das Außengelände, hob meine Arme und rief „Bubi“, und Bubi rannte - so schnell er konnte - laut schreiend auf mich zu und folgte mir in das Außengehege zurück. Die mittlerweile zahlreichen Beobachter meinten wohl, ich könnte so Affen einfangen, dies konnte ich aber nur mit Bubi. Keine Zauberei, vielmehr echte Zuneigung.

51Erst in diesen Tagen ist mir eine Arbeit von Hediger und Zweifel ([69]) beim Sortieren von Separata in die Hände gefallen, in der nämliches von Pfyfer, einem 36 Jahre alten Kapuzinermann, berichtet wird.

52Den beiden Studentinnen gefielen auch andere Affen, sie schrieben ihre Staatsexamensarbeiten über Springaffen (vgl. Kapitel 8).

53Kim trug ein Neugeborenes, das wir nicht riskieren wollten.

54Die Männchen Tschiggo und Primus und die Weibchen Purzel und Inge wurden aus der Don-Gruppe verdrängt, zwei Weibchen (Ama, Baja) waren gestorben. Zusätzlich zu den vier verdrängten Individuen hatten wir in Abänderung meiner Haltungsstrategie, möglichst keine unnötigen Veränderungen vorzunehmen, Lena aus der Don-Gruppe entnommen. Unterstützt von ihrer „Freundin“ Sylvia bedrohte sie so massiv alle anderen Gruppenmitglieder, so dass wir uns entscheiden mussten, entweder die Don-Gruppe wieder aufzulösen oder Lena zu entfernen. Ich habe mich gegen Lena entschieden. Alle fünf Kapuzineraffen konnten in die Bubi-Gruppe (re-)introduziert werden. Lena, die vorher in dieser Gruppe nicht gelebt hatte, musste sich mit einer peripheren Position abfinden.

55Petra Pippert diskutierte in ihrer Dissertation das Theoriengebäude der Soziobiologie und prüfte auch Literaturbefunde zum „paternal behaviour“ bei anderen Primatenspecies, worauf ich hier nicht eingehe.

56Auch bei entsprechenden Untersuchungen an unserer eigenen Species werden Vaterschaften ausgeschlossen und nicht belegt.

57Nur Jungtiere, deren Mütter keine eindeutigen Präferenzen für ein bestimmtes Männchen aufzeigen, orientieren sich anders.

58Diese Aussage gilt meiner Meinung nach zumindest für alle nichtmenschlichen Primaten. Sie stützen nicht das Theoriegebäude der Soziobiologie. Gesteuert von ihren Genen müssten Individuen folgendes leisten: Sie müssten grundsätzlich eigensüchtig handeln und nur auf ihren eigenen Fortpflanzungserfolg bedacht sein (Darwinian fitness); Handeln sie altruistisch, dann müssten sie zwangsläufig den Verwandtschaftsgrad des jeweiligen Partners bei ihren Investitionen einrechnen (Inclusive fitness); zudem muss konsequenterweise ein Individuum - gesteuert von seinen Genen - genau wissen, ob der Partner mit ihm verwandt ist oder nicht. Kapuzineraffen - und auch andere Primaten - verhalten sich „falsch“, sie präferieren Vertrautere vor weniger Vertrauten, ohne auf die tatsächliche Verwandtschaft zu achten ([247]).

59In der Don-Gruppe dominierten zwei mächtige Clane, der Sylvia- und der Teufelclan. Nach Don war Teufels Sohn Toko das mächtigste Männchen. Dunka hatte eine Randposition. 1988 verbündeten sich ihre drei adulten bzw. subadulten Söhne, Daniel (1978), Dennis (1980) und David (1982), gegen Toko und griffen diesen gemeinsam an. Gegen drei große Männchen war selbst Toko chancenlos. Gleichzeitig griff Dunka die anderen Weibchen an. Ich entschloss mich, Dunka und ihre Söhne aus der Gruppe zu entfernen. Wir hielten diese separat. Aus unseren Haltungserfahrungen wussten wir, dass Mütter als Sexualpartner für ihre Söhne unattraktiv sind. Dieses Wissen wurde relativiert, Dunka gebar am 14.04.89 Doria, Vater konnte nur einer ihrer Söhne sein.

60Große Sozialverbände gesellig lebender Primaten werden kontinuierlich in der Regel nur an der von Menschen angelegten Futterstelle beobachtet. Die Beobachter füttern ihre Tiere an oder beobachten sie in der Nähe von Tempelanlagen, wo die Affen aus religiösen Gründen von der einheimischen Bevölkerung gefüttert werden. Dabei achten verständlicherweise sowohl die Beobachter als auch die lokale Bevölkerung darauf, dass die Affen nicht darben.

61Für Affen ist generell ein Gitter eine Bereicherung des Lebensraumes.

62Auch Hoppediz konnte nicht lesen. Insofern folgten auch hier die Kapuzineraffen nicht den Annahmen der Soziobiologie. Für das Töten dürfte die soziale Situation in der Gruppe verantwortlich gewesen sein. Zweifellos hatte das dominierende Männchen in dieser Gruppe keine unbestrittene Position, wurde er doch von den Weibchen nicht als der attraktive Mann angesehen. Fragen wir uns, warum ein nicht eindeutig dominierendes Männchen Kinder töten könnte, liegt die Erklärung wohl an dem Verhalten der Weibchen. In Kapuzineraffengruppen sind Kinder tragende Weibchen attraktiv und ändern ihr Verhalten. Selbst Weibchen, die vor der Geburt peripher lebten und bedroht wurden, sind nun im Zentrum der Sozialgruppe und werden - anthropomorph betrachtet - selbstsicherer. Diese verbesserte soziale Position verlieren sie aber nach der Entwöhnung des Jungtieres. Sie müssen sich mit ihrer alten sozialen Stellung zufrieden geben. Insofern ändert das Töten des Kindes die Stellung der Mutter, gleichzeitig verbessert sich relativ die Position des Töters. Dabei scheint es unwichtig zu sein, ob das Kind sein eigenes oder das eines anderen Männchens ist. ([248])

63Einmal beobachtete ich einen Konflikt zwischen Don und Toko, beide drohten in die gleiche Richtung und schlugen die Köpfe gegeneinander ohne direkten Blickkontakt.

64Die Beobachter protokollierten das Verhalten nach einem vorgegebenen Katalog.

65In der Sylvia-Untergruppe sind auch die aktiven Putzkontakte der Sarah-Tochter Silke zu ihren Onkeln Samuel (n = 29) und Philipp (n = 16) und ihren Cousinen Tonia (n = 19) und Paula (n = 21) erwähnenswert. Sarahs Tochter Franziska putzte ihre Schwester Stephanie (n = 18) und ihre Nichten Tonia (n = 10) und Paula (n = 6). Petras Tochter Pia schließlich putzte ihre ein Jahr ältere Tante Sandra (n = 11) und ihre Schwester Paula (n = 16).

66Teufel putzte aktiv nur ihre Tochter Jesca (n = 12), wurde aber außer von Jesca (n = 62) auch von ihrer Tochter Isabelle (n = 30) und ihrem Sohn Jim(n = 19) geputzt. Isabelle unterhielt gegenseitige Putzbeziehungen zu ihrer Schwester Jesca (aktiv n = 28, passiv n = 16) und putzte ihren Neffen Jan (n = 10) und ihren Sohn Miratus (n = 32), sie selber wurde von ihrem Bruder Justus (n = 6) geputzt. Jesca putzte zudem ihren Bruder Jim (n = 6) und ihre Neffen Jan (n = 20) und Miratus (n = 7). Jim schließlich putzte seinen Bruder Justus (n = 38), der zur Untergruppe um Kim und ihrer Tochter Karin vermittelte.

67Edith putzte ihre Söhne Edgar (n = 19) und Elvis (n = 34).

68Claudia putzte ihre Söhne Cris (n = 6) und Clarence (n = 14) und ihre Tochter Carmen (n = 35) und wurde von ihrer Tochter Casparia (n = 23) geputzt.

69Ihre Mutter Dunka hatten wir gemeinsam mit ihren Brüdern separiert (s. o).

7016.05.1992 Kurtisane (Kim), 01.06.1992 Isidor (Isabelle), 02.06.1992 Sunny (Sarah), 19.06.1992 Jolan (Jesca) und am 01.07.1992 Samson (Stephanie).

71Von dieser Chance, das Zusammenleben einer etwa vierzigköpfigen Kapuzineraffengruppe beobachten zu können, waren Gäste der Primatenstation begeistert. Nur einmal erlebte ich eine andere Situation. Ich hatte sogenannte Tierschützer eingeladen, ich wollte ihnen die Möglichkeit einräumen, in einem von mir angebotenen Kolloquium zum Thema „Artenschutz, Tierschutz, Tierversuche“ ihre Positionen zu vertreten. Bei unserem Vorgespräch im Beobachtungsraum hielt sich eine Dame des Tierschutzvereins ständig die Augen zu. Besorgt fragte ich diese, ob sie Augenprobleme hätte, und bekam die Antwort, sie könne das Leid (aktive Kapuzineraffen) nicht ertragen.

72Bei diesen Versuchen erfüllte ein ungeheurer Lärm den an sich schon lauten Kapuzinerraum, fast alle Kapuzineraffen, besonders die männlichen, belegten mit ihrem angeborenen Verhalten, wieso die Kapuzineraffen in Brasilien „die Hämmerer des Waldes“ genannt werden.

73Wir werteten für diese Befunde die Daten von vierzehn bei uns geborenen Kindern aus, die Daten von acht dieser Kinder beruhen auf Einzeltierbeobachtungen an fünf männlichen und drei weiblichen Kindern. Auf diesen Beobachtungen beruhen auch die angegebenen quantitativen Befunde ([253]).

74Dabei bauen sie mehr oder wenger zwangsläufig auch Beziehungen zu deren Müttern auf und dürfen auch an diesen saugen.

75Dabei handelt es sich - wie bereits betont - jeweils in der Regel nur um ein bestimmtes Männchen.

76Im Hinblick auf spätere auffällige Unterschiede zwischen den Geschlechtern sollen erste - nicht gesicherte - Unterschiede nicht verschwiegen werden:

Adulte Männchen und Weibchen bevorzugen bei dem Gehenzu, dem Zusammensitzen und dem Spiel männliche Kinder, weibliche Kinder dagegen werden häufiger geputzt.

Geschwister sind für männliche Kinder attraktiver als für weibliche. Dementsprechend sitzen Geschwister häufiger mit männlichen Kindern zusammen und spielen mit ihnen als mit weiblichen Kindern. Weibliche Kinder werden aber häufiger von Geschwistern aufgesucht, manipuliert und sind häufiger Partner bei dem Schmusen. Nämliches gilt für im gleichen Jahr geborene Jungtiere, doch sind hier die Unterschiede noch geringer.

Bei den generell nur selten zu beobachtenden Kontaktaufnahmen anderer nicht verwandter Juveniler ist zudem auffällig, dass männliche Juvenile männliche Kinder und weibliche Juvenile weibliche Kinder präferieren.

77Wir werteten für diese Befunde die Daten von 15 bei uns geborenen Kindern aus, acht Männchen und sieben Weibchen ([252]).

78Zudem soll erwähnt werden, dass Töchter ihre Mutter signifikant häufiger manipulieren als Söhne.

79Wir protokollierten das aktive Gehenzu 1290 ± 141 mal für männliche und 1147 ± 381 mal für weibliche Kinder, das passive Gehenzu 1460 ± 264 bzw. 1235 ± 357 mal.

80Wir protokollierten das aktive Manipulieren 47 ± 6 mal für männliche und 75 ± 47 mal für weibliche Kinder, das passive Manipulieren 56 ± 12 bzw. 64 ± 40 mal.

81Wir protokollierten das Kontaktsitzen 911 ± 85 mal für männliche und 994 ± 117 mal für weibliche Kinder.

82Wir protokollierten das Schmusen 81 ± 16 mal für männliche und 56 ± 29 mal für weibliche Kinder.

83Wir protokollierten das aktive Putzen 9 ± 2 mal für männliche und 8 ± 5 mal für weibliche Kinder, das passive Putzen hingegen 195 ± 53 bzw. 80 ± 38 mal.

84Für diese Untersuchung analysierten wir die Befunde von 21 Kapuzineraffenkindern, die in der Don-Gruppe heranwuchsen. Drei dieser Kinder wurden über die gesamten vier Lebensjahre beobachtet, die anderen ein bis drei Jahre lang. Die Ergebnisse des zweiten bis vierten Lebensjahres beruhen auf Beobachtungen an jeweils 14, die des fünften Lebensjahres beruhen auf solchen an 10 Individuen ([257]).

85Für diese Untersuchung standen die Daten von 18 juvenilen Kapuzineraffen, neun Männchen und neun Weibchen, die alle in der Don-Gruppe aufwuchsen, zur Verfügung. Die Don-Gruppe bestand zum Zeitpunkt der Befundaufnahmen aus bis zu 43 Individuen. Die 18 untersuchten Individuen erlaubten die Analyse von 53 dyadischen Beziehungen - zwölf Bruder-Bruder-Dyaden, 15 Schwester-Schwester-Dyaden und 26 Bruder-Schwester-Dyaden. Wir errechneten wieder einen Erwartungswert, bezogen diesen aber auf alle möglichen Sozialpartner mit Ausnahme der Mutter ([258]).

86Hella Kröger

87Hella Kröger verglich die mittlere Häufigkeit mit dem Erwartungswert, dem Wert, der zu erwarten wäre, wenn alle Gruppenmitglieder gleichhäufig mit dem jeweiligen Kapuzinerkind interagieren würden. Bei der Kalkulation des Erwartungswertes für die (neben der Mutter) übrigen Gruppenmitglieder wurden die Kontakte zur Mutter nicht berücksichtigt.

88Ich hätte diese Bebachtungen auch als Nachweis des Erkennens der väterlichen Verwandtschaft publizieren können, habe es aber vorgezogen, diese Befunde auf Kontakte zu Individuen des gleichen Altersbereiches zurückzuführen, und einer Publikation widerstanden.

89Bereits mehrfach habe ich in diesem Buch auf die Schwierigkeiten der Geschlechtsbestimmung hingewiesen. Meine Mitarbeiterin Petra Pippert hatte dem kleinen Kapuzineraffenkind den Namen Jonas gegeben. Bei mir und keinem der späteren Beobachter tauchten Zweifel auf. Auch Elisabetta Visalberghi, die monatelang unsere Kapuzineraffen beobachtet hatte, fiel dieser Fehler nicht auf. Nach der Feststellung des richtigen Geschlechtes schrieb ich ihr nach Rom und bekam die Antwort, sie müsse zwar nun die Datenauswertung überarbeiten, doch würden die Ergebnisse besser. Auch bei ihren Experimenten hatte sich Jonas weniger am Objektspiel beteiligt als andere „Männchen“. Ich hatte mich damals über diesen Irrtum gefreut, konnte ich doch so die Validität meines Beobachterteams unbeabsichtigt im Nachhinein testen. Eigentlich sind die Unterschiede zwischen den Geschlechtern gut erkennbar, beide haben ein erigierbares Geschlechtsorgan, doch ist dies bei Weibchen eine Rinne (Abbildung 13.39), bei den Männchen eher ein Stempel, was man bei Tschiggo (Abbildung 13.41) erkennen mag.

90Die quantitativen Daten erlauben jedoch nicht, nach der Häufigkeit des Kontaktsitzens auf geschlechtstypisches Verhalten zu schließen. Jüngere Männchen sitzen teilweise häufiger in engem Körperkontakt mit anderen Individuen als jüngere Weibchen. Hierfür ist die Zusammensetzung der jeweiligen Familiengruppe verantwortlich. ([255])

91Kapuzineraffen rütteln angeborenermaßen an allem Rüttelbaren und erschließen sich so im Freiland neue Ressourcen bzw. verjüngen - wie ein Bäume beschneidender Gärtner - die Bäume ihres Lebensraumes.

92Dies war nur bei den in größeren Gruppen lebenden Affen notwendig, da bei diesen das gesamte Gehege und vor allem die stark verschmutzten Ruhebretter täglich sorgfältig gereinigt werden mussten.

93Michael Dulitz beobachtete diese Gruppe bei der Befunderhebung für seine Staatsexamensarbeit vor der Geburt von Purzels Sohn Plato über 99 Tage. Während seiner Beobachtungen Oktober bis Dezember 1994 lebten noch das Wildfangweibchen Migga und seine 1979 geborene Tochter Dido im Sozialverband, Elka, Eva und Plato waren noch nicht geboren. Er berichtet zum agonistischen Verhalten: „Insgesamt fällt auf, dass agonistische Verhaltensweisen innerhalb der Kapuzinergruppe weit seltener als positive Interaktionen auftreten. ... Das Drohen der Männchen ist überwiegend gegen Mitglieder der benachbarten Don-Gruppe gerichtet. ... Vor allem das Weibchen Purzel ... wird überdurchschnittlich häufig bedroht. Fälle von agonistischem Zerren, Jagen oder Beißen wurden zwischen Mitgliedern der Hoppediz-Gruppe insgesamt 40mal von mir protokolliert. 22 dieser Aktionen richteten sich allein gegen Purzel, darunter alle sechs Fälle von Beißen, die ich überhaupt innerhalb der Gruppe protokolliert habe (Seiten 8-9)“.

94Ihre Schwester Alice war am 25.11.1996 gestorben.

95„So ist besonders auffällig, dass Plato von seiner Mutter sehr viel häufiger getragen wurde als das gleichalte weibliche Kind Eusebias. ... Aufgrund ihrer Außenseiterposition war Plato für (Purzel) die Chance, mehr Sozialkontakte, insbesondere mit den Weibchen des Erna-Clans zu erhalten. ... Daher war es für sie von Vorteil, Plato so häufig und solange es irgend geht, zu tragen, denn die Vermutung liegt nahe, dass mit der wachsenden Selbstandigkeit Platos die Kontakte zu den anderen Tieren im gleichen Maße wieder abnehmen werden. Vielleicht stellt Plato fur sie auch eine Art „Schutz“ vor agonistischen Attacken gegen sie dar“ (Seiten 68-69).

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