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Die Weißbüschelaffenkolonie der Universität Kassel

Die schon mehrfach erwähnten Weißbüschelaffen Callithrix jacchus gehören zu den Krallenaffen, den Callitrichidae1. Wie bereits erwähnt (Kapitel 5) lassen sich die Krallenaffen von den übrigen südamerikanischen Primaten eindeutig durch den Verlust des dritten Backenzahnes unterscheiden. Zudem erscheint die bei dieser Familie nachweisbare Tendenz zu Mehrlingsgeburten ein auffälliges Merkmal zu sein. Innerhalb der Krallenaffen unterscheiden wir neben dem Genus Callithrix zudem die Genera Cebuella, Saguinus und Leontopithecus. Im Deutschen und im Englischen werden Callithrix und Cebuella als Marmosetten (marmosets) den Tamarinen (tamarins), also Saguinus und Leontopithecus, gegenübergestellt. Marmosetten unterscheiden sich durch das aktive Kerben (Nagen) der Rinde ihrer Nahrungspflanzen von den übrigen Krallenaffen. Hierdurch gewinnen sie nicht nur Harz. Das frische Harz lockt auch diverse Insekten an, die zur Verbreiterung der Nahrungsbasis führen. Auch in Menschenobhut zeigen sie massiv dieses Verhalten und kerben auch totes hölzernes Inventar.2


Abbildung 6.1: Weißbüschelaffe Callithrix jacchus, Zoo Warschau


Weißbüschelaffen werden 300 - 400 g schwer. Sie werden entweder der Art Callithrix jacchus oder der Unterart Callithrix jacchus jacchus zugeordnet. Über die korrekte Zuordnung herrscht Uneinigkeit. Philip Hershkovitz ([78])3 war überzeugt, dass die ostbrasilianischen Callithrix-Formen nur Unterarten der Art Callithrix jacchus sind, dementsprechend wären die Weißbüschelaffen Callithrix jacchus jacchus. Zur Art Callithrix jacchus gehörten dann auch neben anderen der Schwarzpinselaffe Callithrix jacchus penicillata und der Weißgesichtsseidenaffe Callithrix jacchus geoffroyi. Untereinander züchten diese verschiedenen Formen erfolgreich. Eigentlich unbeabsichtigt belegte dies in unserer Kolonie eine „Liebesaffäre“ zwischen dem am 29. Juli 1979 geborenen Weibchen fC724 Zur individuellund einem Schwarzpinselaffen-Mann (mP1).5 Diese Liaison war erfolgreich, bereits am 25. Dezember 1981 fanden wir tote Zwillinge und am 02. Juni 1982 schließlich wurden mPC1 und mPC2 geboren und anschließend auch aufgezogen. Das Männchen mPC1 verpaarten wir mit dem am 11. Mai 1982 geborenen Weibchen fC100. Bereits am 21. Oktober 1983 zogen beide ihre Jungen mPCC1 und fPCC2 auf, Hybride der 2. Generation. Deren Sohn mPCC1 verpaarten wir mit dem am 08. Mai 1983 geborenen Weibchen fC111, als PCCC4 und PCCC5 wuchsen dann am 20. Mai 1985 geborene Hybride der 3. Generation heran. Nach ihrem reproduktiven Verhalten gibt es also keinen Grund, Schwarzpinselaffen einer eigenen Art zuzuordnen.



Abbildung 6.2: Schwarzpinselaffe Callithrix penicillata, Universität Kassel




Abbildung 6.3: Callithrix kuhlii, ein naher Verwandter des Schwazpinselaffen, Rio de Janeiro Primatenzentrum




Abbildung 6.4: Weißgesichtsseidenaffe Callithrix geoffroyi, Rio de Janeiro Primatenzentrum


In der Primatenstation ließ ich auch ein Paar Weißbüschelaffen und ein Paar Schwarzpinselaffen von Meike Wanduch im Rahmen ihrer Staatsexamensarbeit6 parallel beobachten. Diese Untersuchung erbrachte nur geringe Unterschiede zwischen beiden Formen.7 Wanduch stellte aber heraus: „Zwischen Callithrix j. jacchus und Callithrix p. penicillata ist ein Unterschied im Aktivitätsverlauf zu erkennen. Bei Callithrix p. penicillata ist das Mittagsmaximum deutlicher ausgeprägt, bei Callithrix j. jacchus das Anfangsmaximum.“ (Wanduch, Seite 51). Inwieweit diese Unterschiede generalisiert werden könnten, muss weiteren Untersuchungen vorbehalten bleiben. Grundsätzlich aber widersprechen unsere Befunde keineswegs Hershkovitz. Adelmar F. Coimbra-Filho und Russel A. Mittermeier veröffentlichten jedoch „Neue Befunde zur Taxonomie Brasilianischer Marmosetten“ ([25]), nach denen es zwingend sei, die verschiedenen Callithrix - Formen auf Artenniveau zu trennen. Ihre eigenen Hybridisierungserfolge relativierten sie mit Verweis auf Überlegungen von Ernst Mayr, die ich nicht nachvollziehen konnte. Auf diese Publikation antwortete dann Hershkovitz mit einer echten Streitschrift ([77]), in der er die vorgestellte Arbeit restlos verwarf. Dennoch haben Coimbra-Filho, Mittermeier u. a. auch in späteren Arbeiten sich für separate Species entschieden ([139], [140], [178]), was auch nicht unberechtigt sein mag, habe ich doch bereits im Kapitel zur Evolution (Kapitel 2) auf den fließenden Übergang zwischen Arten und Unterarten verwiesen, insofern gilt sicherlich mit Ernst Mayr: „Since most species originate as geographical isolates, one should expect that a certain percentage of such isolated populations are on the borderline between subspecies and species status. The decision whether or not to call such populations species is by necessity somewhat arbitrary. The existence of such borderline cases is what is to be expected if one believes in evolution.“ ([138], Seite 282).8 Sicherlich ist es leichter bei einer größeren Artenvielfalt, neue Varietäten als eigene Unterarten zu beschreiben, wie z. B. Callithrix penicillata jordani neben Callithrix penicillata penicillata [25]. Auch bei den Verbreitungskarten der Marmosetten des Amazonasgebietes hat sich die Aufspaltung in verschiedene Arten bewährt, wie die Publikation von Van Rosmaalen et al. 1998 ([226]) eindrucksvoll belegt, hier kann man „sinnlich“ erfahren, dass der Amazonas bzw. die Nebenflüsse des Amazonas Verbreitungsgrenzen bilden, die die Evolutionsgeschichte der amazonischen Callithrix - Arten widerspiegeln. ([226])



Abbildung 6.5: Die Paarpartner halten engsten Körperkontakt und putzen sich gegenseitig, Zoo Osnabrück.


Demnach wären unsere Weißbüschelaffen also Callithrix jacchus. Die Beobachtungen in Menschenobhut erlauben die Spekulation, sie lebten in kleinen Familiengruppen, bestehend aus Vater, Mutter und Kindern, wobei die Kinder Vollgeschwister sind. In Weißbüschelaffengruppen gebe es danach keine Enkelkinder. Geschwister paarten sich nicht miteinander. In Menschenobhut können Gruppen auf über zwanzig Individuen anwachsen. Zwillingsgeburten und zwei Würfe im Jahr sind die Regel. Am Transport der Jungen beteiligen sich alle Gruppenmitglieder. Dass dieses Tragen durch Dritte eine aktive Leistung der Mutter ist (Welker ([243]), wusste bereits Alfred Brehm ([12]). Er berichtet auch über eine Drillingsgeburt und frühen Kannibalismus.9 Drillingsgeburten sind nicht immer mit Kannibalismus verbunden, doch sind Callithrix jacchus – Mütter nicht in der Lage, mehr als zwei Jungtiere erfolgreich zu nähren. Auf die Konsequenzen werde ich noch eingehen.



Abbildung 6.6: Übergabe des Jungtieres, Universität Kassel




Abbildung 6.7: Belecken der Genitalregion des zweiten Jungtieres, Universität Kassel


Johanna Röber beobachtete im Rahmen ihrer Staatsexamensarbeit10 die Entwicklung der Jungtiere: „Die Neonaten beginnen sofort nach bzw. während der Geburt, sich im Fell des adulten Tieres anzuklammern. Sie befinden sich quer oder längs am Rücken, Flanken, Bauch, Nacken, Schultern oder Hüften des Tragetieres. Beim Säugen klammern sie sich in Brust- und Bauchfell der Mutter, sonst befinden sie sich meist auf ihrem Rücken. Eine Stillperiode dauert zwischen fünf und 25 Minuten. ... Die Neonaten werden von allen Gruppenmitgliedern getragen, auch schon von den infantilen, jedoch mit unterschiedlicher Intensität. Das Tragetier bewegt sich zumeist sehr vorsichtig; so werden z. B. keine weiten Sprünge durchgeführt, was allerdings wohl auch auf das Gewicht der Neonaten zurückzuführen ist. ... Bei der Übergabe von einem Tragetier zum anderen klettern entweder die Neonaten selbständig zum neuen Tragetier (erst nach ca. drei Wochen) oder werden vom neuen Träger aktiv übernommen, und zwar zieht das Tragetier das Jungtier mit dem Kopf voran, die Ventralseite nach oben gerichtet, an sich, hierbei den Rücken mit den Vorderextremitäten stützend. ... Dabei wird stets die Anogenitalregion abgeleckt, wodurch wohl das Koten und Harnen der Neonaten angeregt wird. ... Das Säubern wird nicht nur bei der Übergabe vollzogen, sondern auch während einer Trageperiode; entweder das Tragetier selbst säubert die Neonaten oder ein anderes Tier übt diese Tätigkeit aus. ... Nach ca. zwei bis drei Wochen, bisweilen schon früher, beginnen die Tragetiere, die Neonaten abzwehren, indem sie sich an der Wand o. ä. reiben und so versuchen, die Jungen abzustreifen. Dabei wird oft nach den Neonaten gebissen und an ihnen gezerrt. ... Jedoch übernehmen die Familienmitglieder, insbesondere der Vater, die Jungtiere bis zum Alter von ca. sechs Wochen bei Bedrohung sofort, auch wenn diese schon vollkommen selbständig sind ...“. (Röber, S. 17 - 18).



Abbildung 6.8: Abwehrverhalten, Jungtiere sind eine Last, Universität Kassel.


Diese „Rettungsaufgabe“ insbesondere des Vaters, dürfte auch der Grund sein, warum teilweise behauptet wird, nur der Vater trüge die Jungen. Als ich auf einer Tagung in Frankfurt berichtete, alle Gruppenmitglieder trügen die Jungen, meldete sich der von mir geschätzte Helmut Hofer zu Wort und meinte, dies könne nicht sein, ihm hätte der Direktor eines amerikanischen Primatenzentrums berichtet, nur die Väter trügen die Jungtiere. Hofers Einwand beruhte auf den Beobachtungen eines die Weißbüschelaffen störenden Direktors. Mich ärgerte die Kritik, doch war sie Anlass um nach der Rückkehr nach Kassel unsere tägliche Routine zu erweitern. Zweimal am Tag, bei dem Morgenrundgang und bei dem Abendrundgang notierten wir bei allen Arten mit Tragtierwechsel das (die) Tragtier(e) bzw. das Alleinsein des Jungtieres bzw. der Jungtiere. Über die Jahre erhoben wir so quantitatives Datenmaterial ([279],). Danach ist im Mittel der Anteil des Vaters an der Trageleistung11 der Gruppe höher als der irgendeines anderen Gruppenmitgliedes.12 Seine Leistung nimmt bis zur vierten Lebenswoche zu und danach kontinuierlich ab. Die Leistung der Mutter ist direkt nach der Geburt am höchsten und nimmt dann kontinuierlich ab. Im Rahmen Ihrer Staatsexamensarbeit hat Petra Schroer unsere Daten ausgewertet.13

In der ersten Lebenswoche tragen Geschwister nur wenig, in der zweiten Lebenswoche am häufigsten. Danach nimmt ihre Trageleistung ebenfalls konstant mit zunehmendem Alter des/der Jungen ab.14 Bereits in der zweiten Lebenswoche werden Jungtiere gelegentlich alleine vorgefunden, von der achten Lebenswoche an sind die Jungtiere häufiger allein als auf einem Tragtier, nach der zwölften Lebenswoche werden junge Weißbüschelaffen nur sehr selten getragen.



Abbildung 6.9: Dieser juvenile Weißbüschelaffe trägt beide Geschwister, Universität Kassel.


Ich habe anfänglich keine eigenen „neuen“ Untersuchungen zur erfolgreichen Gruppenbildung durchgeführt, vielmehr den Ergebnissen von u. a. Gisela Epple ([47]], nach denen nur ein Weibchen in der Gruppe erfolgreich züchtet, und Anita Christen ([20]), nach denen diese in Familiengruppen leben und problemlos paarweise gehalten werden können, vertraut. Dementsprechend bildeten wir in den Anfangsjahren, dem Rat von Gisela Epple folgend15, nur Paare nicht verwandter Tiere. Das Sozialsystem der Krallenaffen beruht nach unseren Erkenntnissen auf drei Komponenten. Zum einen sind alle Individuen extrem aggressiv zu Individuen des eigenen Geschlechtes bei Anwesenheit andersgeschlechtlicher Artgenossen. Zum anderen sind alle Individuen gesellig, sie sind nicht aggressiv zu Artgenossen des anderen Geschlechtes und suchen deren Nähe. Als Konsequenz leben sie paarweise. Sie erinnern also an das „solitary ranging pair“ der Halbaffen (vgl. Kapitel 4), wobei aber die Paarpartner hier nun nicht mehr „solitär“ sondern gesellig in permanentem Kontakt leben. Zum dritten sind sie extrem tolerant zu den eigenen Nachkommen und vice versa, wodurch sie in Familiengruppen vorzufinden sind. Aus diesen Familiengruppen werden Nachzuchttiere irgendwann von gleichgeschlechtlichen Geschwistern verdrängt und müssen in Menschenobhut aus dem Sozialverband entfernt werden, will man den Stresstod des bedrängten Individuums vermeiden.16 Nach meinen Erfahrungen nach mehr als 350 Geburten sind sie bei richtiger Ernährung17 leicht zu pflegen und zu züchten, dabei haben wir die Zutaten des Nachmittagsfutters im Laufe der Jahre noch ausgeweitet. Wir boten unseren Tieren auch noch grüne Paprikaschoten und kleingeschnittetene Zwiebelstückchen an, die Zwiebeln nicht aus ernährungsphysiologischen Gründen, vielmehr aus Gründen der „Gleichbehandlung“, erhielten doch unsere Kapuzineraffen täglich Zwiebeln angeboten. Die ersten fünfzehn Weißbüschelaffen wurden am 15. Oktober 1973 importiert und bis 1995 über fünf Generationen gezüchtet. Das erste Nachzuchtpaar, nämlich das am 31.07.1975 geborene Männchen mC24 und das am 27.02.1975 geborene Weibchen fC19, wurden am 11.02.1977 verpaart. Vor der Fusion hielten wir beide in durch eine Gitterwand getrennte Käfige. Johanna Röber berichtete: „In dieser Zeit war häufig zu beobachten, dass mC24 und fC19, oft in Katzbuckelhaltung18, parallel und mit ständigem Sichtkontakt an dem sie trennenden Gitter emporliefen. ... Es erfolgte jedoch kein gegenseitiges Berühren. Nach Öffnen des Schiebers um 18.05 Uhr lief das Weibchen in den Käfig des Männchens und markierte19, während sich das Männchen in den Käfig von fC19 begab. Nach drei Minuten untersuchte fC19 den Schlafkasten von mC24, nach weiteren zwei Minuten lief mC24 mit erigiertem Penis sehr aktiv im Käfig herum und blickte dabei ständig zu fC19. Anschließend folgte es dem Weibchen züngelnd und schmatzend und bestieg dieses nach ca. 90 Sekunden.20 fC19 entfloh anfänglich, doch kurz darauf kam es zur Kopulation, die 58 Sekunden dauerte und aus mehreren Intervallen mit jeweils drei bis zehn Beckenstößen bestand. Das Weibchen hing dabei an einem Seitengitter. Nach 15 Minuten betraten beide den Schlafkasten, der von fC19 nach einigen Sekunden mit Drohkeckern wieder verlassen und kurz darauf erneut aufgesucht wurde. Später geschah es dreimal, dass fC19 im Kasten keckerte und daraufhin mC24 den Kasten verließ, stets mit erigiertem Penis. mC24 tschilpte häufig oder gab laute, hohe Kontaktrufe von sich ... Bis 19.15 Uhr erfolgten noch zwei Kopulationen; mehrere Kopulationsversuche führten wegen Fortlaufens des Weibchens, meist in Katzbuckelhaltung, nicht zur Begattung. Es fiel auf, dass das Weibchen ständig die Nähe des Männchens suchte und erst dann weglief, wenn das Männchen sich ihm zuwandte. mC24 beleckte und beroch oft die Stellen, die fC19 markiert hatte. Um 19.12 Uhr saßen beide im Schlafkasten und putzten sich gegenseitig. Nach zwei Minuten verließen sie wieder den Kasten und nagten Holz. Am folgenden Tag beobachtete ich21 innerhalb von 30 Minuten dreimal das Aufreiten des Männchens, am Tag darauf zweimal. Am achten Tag nach Paarbildung ritt das Weibchen zweimal auf das Männchen auf und umklammerte dieses dabei fest. Die Markierhäufigkeit von fC19 war am Tage des Zusammenlassens größer als die von mC24, am zweiten Tag kehrte sich dieses Verhältnis um (...). An den folgenden Tagen, in denen sich ein Normalwert einspielte, konnten keine nennenswerten Unterschiede in der Markiertätigkeit beider Tiere festgestellt werden. Auffällig war, dass sich am Tag der Paarbildung beide Tiere zu gleichen Anteilen an der gegenseitigen Fellpflege beteiligten“(Röber, Seiten 88 - 90, redaktionell geringfügig verändert). Diese erste Fusion von Nachzuchttieren der ersten Generation war in jeder Hinsicht erfolgreich, mC24 und fC19 zogen mehrfach eigene Kinder auf.



Abbildung 6.10: Weißbüschelaffen sind relativ leicht zu haltende Affen, Universität Kassel.




Abbildung 6.11: Der erste in Kassel aufgezogene Weißbüschelaffe wird hier vom Vater getragen, Universität Kassel.


Gemeinsam mit meiner Mitarbeiterin Annette Klaiber-Schuh analysierte ich Jahre später unsere Reproduktionsdaten ([265]. Insgesamt wurden 359 Kinder geboren (32 Einlingsgeburten, 102 Zwillingsgeburten, und 41 Drillingsgeburten ), 75 % dieser Kinder22 überlebten die erste Lebenswoche. Wildfangweibchen (n = 6 ) waren nicht erfolgreicher (79 %) als mehrfachgebärende Nachzuchtweibchen (n = 33), deren Kind(er) in 75 % der Fälle die erste Lebenswoche überlebte(n). Aber auch erstgebärende (n = 36) Nachzuchtweibchen waren ausgesprochen erfolgreich (70 %). Nach der ersten Lebenswoche konnten die Aufzuchtverluste vernachlässigt werden, 89 % der jungen Weißbüschelaffen überlebten danach zumindest das erste Lebensjahr. Da Nachzuchtweibchen im Beisein ihrer Eltern nicht züchten, gibt das mittlere Alter erstgebärender Weibchen (n = 36) keine sinnvolle Information, das jüngste erstgebärende Weibchen war am Tag der Geburt ein Jahr und fünf Monate alt und zog die erstgeborenen Zwillinge erfolgreich auf. Die Tatsache, ob die Jungen aufgezogen werden oder nicht, hat keinen Einfluss auf die Geburtenabstände, in Mittel betrug der Abstand 184 ± 7 Tage bei Kinder säugenden Weibchen (n = 116) und 201 ± 16 Tage bei Weibchen, die ihre Kinder verloren hatten, (n = 16). Das kürzeste Interval zwischen zwei Geburten war 139 Tage lang. Als Geschlechterverhältnis (M : W) aller Kinder ermittelten wir 1 : 0,88. Das Verhältnis zwischen MM : WW : MW - Zwillingen betrug 1 : 1,2 : 2,3. Die Aufzuchterfolge in der Primatenstation belegen, dass die Weibchen keine Vorerfahrungen in der Aufzucht von Jungtieren benötigen, worauf ich noch eingehen werde.
Die erfolgreiche Haltung ist aber periodischerweise mit Abgabeproblemen verbunden. Stirbt nämlich der Vater oder die Mutter einer Familiengruppe, muss der Halter möglichst alle Individuen der Sozialgruppe mit jeweils einem nichtverwandten Individuum des anderen Geschlechtes neu verpaaren, will man weiterhin erfolgreich züchten. Das bloße Weiterleben der vorhandenen Individuen gelingt auch in verwaisten Gruppen, zudem kann man Callithrix jacchus - Individuen auch längere Zeit ohne Aggressionen in eingeschlechtlichen Gruppen halten. Auch im Freiland werden durch die drei beschriebenen Komponenten (Aggressivität zu Individuen des eigenen Geschlechtes, fehlende Aggressivität gegenüber andersgeschlechtlichen Individuen, hohe Toleranz gegenüber eigenen Nachkommen) das Zusammenleben von Weißbüschelaffen geregelt. Doch darf man sich das Leben unter natürlichen Bedingungen nicht so luxuriös vorstellen wie das in Menschenobhut. Während der erfahrene Halter bedrängte Tiere aus dem Verband entfernt, sie separat hält und später neu verpaart, wandern bedrängte Tiere im Freiland aus. Romantisch kann man sich vorstellen, sie wandern aus und finden einen Partner, realistisch ist diese Annahme nicht, vielmehr wandern sie in der Regel aus und verschwinden, sie wandern in den Tod, oder versuchen Anschluss in anderen Gruppen zu finden, in denen ein Partner des Zuchtpaares verwitwet23 ist, mit der Konsequenz, dass sie dort Individuen des eigenen Geschlechtes vertreiben. Insofern ist zu erwarten, dass im Freiland neben Familiengruppen gleichfalls Übergangsgruppen anzutreffen sind, die auch Stiefkinder und -geschwister enthalten. Über die Zeit werden Verdrängungsprozesse dazu führen, dass die Gruppe wie im Labor einer Familiengruppe immer ähnlicher wird. Ein Problem der Berichte aus dem Freiland ist sicherlich das Faktum, dass die Beobachtung einer Familiengruppe im Freiland keine publikationswürdige Arbeit ist. Dass Weißbüschelaffen in Familienverbänden leben, ist nämlich bekannt. Beobachtet der Forscher dagegegen eine Abweichung von der Norm, wird die Beobachtung interessant. Dies dürfte der Grund sein, dass die monogame Sozialstruktur der Krallenaffen hinterfragt wird. Leben diese eher polygyn (ein Männchen und mehrere Weibchen) oder polyandrisch (ein Weibchen und mehrere Männchen). Zu diesen Fragenkomplexen habe ich in Kassel mehrfach Experimente durchgeführt.
Polyandrische Sozialgruppen erhielten wir, wenn wir Vater/Sohn Paare mit einem Weibchen fusionierten. Beide Männchen verfolgten sofort das entsprechende Weibchen und kopulierten. Gemeinsam zog dann das Trio die Jungtiere auf. In jedem Fall wurde aber in der Folgezeit der Vater verdrängt (oder starb), der Sohn dagegen züchtete weiter und verhielt sich wie ein Vater in einer Familiengruppe, wobei seine ältesten „Kinder“ möglicherweise Geschwister waren. Polyandrische Gruppen können relativ stabil sein. Nach dem Tod des bereits erwähnten Zuchtweibchens fC19 am 30. Juli 1980 separierten wir am 19. Januar 1981 seine Töchter fC63 und fC84. Das Zuchtmännchen mC24 und seinen Sohn mC80 verpaarten wir mit dem Weibchen fC73. In dieser Gruppe wurden am 30. Oktober 1981 und am 11. Mai 1982 Zwillinge geboren und aufgezogen, erst danach musste mC24 separiert werden. Diese polyandrische Gruppe bestand also länger als ein Jahr.24 Mehrfach versuchte ich auch polygyne Gruppen zu bilden. Hierzu ließ ich Mutter/Tochter Paare mit einem ihnen fremden Männchen oder auch mit zwei Brüdern verpaaren. Diese Gruppen lebten nach meiner Erinnerung völlig friedlich miteinander, doch musste ich die Haltung stets wieder schnell beenden lassen, da alle betroffenen Weißbüschelaffen die Nahrungsaufnahme mehr oder weniger einstellten. Die vorhersehbaren Verluste wollten wir nicht riskieren. Unabhängig von dem Scheitern des Experimentes bin ich überzeugt, dass mögliche polygyne Gruppen auf Mutter/Tochter Dyaden25 beruhen, unsere Versuche erlauben aber die Annahme, dass solche Gruppen nur sehr selten anzutreffen sein werden.
Ein bemerkenswertes Nebenergebnis der polyandrischen Sozialgruppen war der problemlose Aufzuchtserfolg in diesen Gruppen, auch wenn das junge Weibchen keinerlei Erfahrung zur Jungenaufzucht erwerben konnte, weil seine Muuter vor einer erneuten Geburt verstarb. Diese Erfahrungen sollen aber für den eigenen Aufzuchtserfolg wichtig sein, was Gisela Epple ([49]) zumindest für Saguinus fuscicollis zu belegen scheint und was „common knowledge“ aller erfolgreichen Krallenaffenhalter ist. Diesem Wissen widersprechen unsere Befunde. Zudem gibt es überaus erfolgreiche Haltungen ([84],[70]), die mit ihrer Haltungsroutine Aufzuchterfahrungen sogar verhindern.26 Ohne dies belegen zu können, vermute ich, dass nicht die Aufzuchtbeteiligung wichtig ist. Die jungen Krallenaffen müssen das Aufziehen der Jungen nicht lernen.



Abbildung 6.12: Weißbüschelaffe Callithrix jacchus, Vivarium Oslo

Viel entscheidender scheint mir das Erleiden eines Verdrängungsprozesses zu sein, verbunden mit der sozialen Reifung des Individduums. Durch unsere polyandrischen Gruppen schaffen wir Gruppen voller sozialer Spannungen und simulieren eine unfreundliche soziale Situation, nämliches gilt zweifellos für die großen Sozialgruppen der eben beschriebenen Haltungssysteme. Auch in den beiden zuletzt besprochenen Kolonien wurden relativ häufig Drillinge geboren, zwischen 1972 und 1975 waren in der Hiddleston - Kolonie 172 der 662 Geburten Drillingsgeburten ([84], in derjenigen von Heger war der Anteil der Drillingsgeburten noch höher, stets über 40 % ([70]). Nur in Ausnahmefällen „erledigen“ die Weißbüschelaffen - Eltern - wie bei Alfred Brehm - das Problem und vertilgen den zuviel geborenen Nachwuchs, in der Regel pflegen sie alle drei Jungtiere, von denen eines zunehmend schwächer wird und stirbt, wobei auch dieser Fall relativ selten ist. Tatsächlich wird das dritte Jungtier in der Regel schwach aber lebend von einem Pfleger, einer Pflegerin geborgen, es steht zur Handaufzucht an, die mit Hiddleston ([84]) ökonomisch nicht vertretbar ist. Ökonomische Gründe entfielen in meiner Kolonie, vielmehr waren stets zahlreiche Helfer bereit, mit viel Liebe und kostenlos die jungen Affen aufzuziehen und zu „retten“. Anfänglich waren diese Aufzuchtversuche oft Mißerfolge. Nachdem wir aber gelernt hatten, worauf es ankommt, nämlich nur wenig zu füttern und nach der Nahrungsaufnahme die Anogenitalregion feucht zu reiben (um die Verdauungsvorgänge in den Griff zu bekommen), gelang die Handaufzucht routinemäßig. Ich habe einige Affen Tag und Nacht am Körper getragen und „ertragen“ . Die kleinen Krallenaffen schmerzen bei dem Herumklettern und beißen ganz gerne, so dass man nachvollziehen kann, warum die anderen Gruppenmitglieder in der Gruppe heranwachsende Junge zunehmend abwehren.27 Später hatten wir eine optimal geheizte Aufzuchtanlage, so dass das Tragen am menschlichen Körper entfiel. Kleine Krallenaffen sind allerliebste Pfleglinge und „vergelten“ die ihnen entgegengebrachte Liebe mit Vertrautheit und Zahmheit. Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass der für die Pflege vor allem verantwortliche jeweilige Mensch größten Wert darauf legt, dass es seinem Pflegling wirklich gut geht.



Abbildung 6.13: Minus „hilft“Adelheid Welker bei der Futterzubereitung, Universität Kassel.


Wir haben diesem Wunsch stets entsprochen, leider aber behandelten die großgewordenen Krallenaffen uns Menschen nicht freundlich, in der Regel bissen sie alle Menschen eines Geschlechtes (also entweder alle Männer oder alle Frauen), wie ein Blitz stürzten sie dabei aus ihrem Käfig, um den „Feind“ anzuspringen und in das Gesicht zu beißen (vgl. auch Kapitel 7). Die Handaufzuchten hielten sich also auch für Menschen und behandelten die Menschen wie einen Artgenossen, das Sozialsystem haben wir ja beschrieben. Es hat einige Jahre gedauert, bis die Einsicht reifte, dass man Krallenaffen nicht mit der Hand aufziehen sollte, viele Jahre bis bedingungslos keine anfallende Handaufzucht mehr aufgezogen wurde. Nämliches gilt für die im nächsten Kapitel zu behandelnden Lisztaffen. Bevor ich auf diese eingehe, möchte ich noch eine Bemerkung zum Füttern durch Artgenossen bei Weißbüschelaffen einfügen.
Beobachtet man Weißbüschelaffengruppen mit heranwachsenden Jungtieren, kann man das Betteln der Jungtiere gegenüber Nahrung zu sich nehmenden Gruppenmitgliedern beobachten. Dabei ist es nicht abwegig, dass der menschliche Beobachter den Eindruck gewinnt, die Jungen würden gefüttert. Stimmt dieser Eindruck oder sind ältere Individuen einfach nur tolerant und lassen das Wegnehmen der Nahrung zu? Dies war die Frage, die ich im Rahmen meiner Vorlesung zur Diskussion gestellt hatte. Sofort war einer meiner Studenten, Reinmar Hager, bereit, diese Frage mit einer gezielten Untersuchung zu beantworten ([59]). Wir wählten zwei Familiengruppen, nämlich das Paar mC187, geboren am 30.07.1985, und fC247, geboren am 15.12.89, mit den am 29.03.1995 geborenen C374 und C375, und die am 23.03.1995 neu verpaarten mC240, geboren am 07.10.1989, und fC249, geboren am 14.02.1990 mit ihren am 25.08.1995 geborenen Kindern C379 und C380. Die erste Gruppe beobachtete Hager zweimal in der Woche direkt nach der Fütterung ab dem Alter von zwei Monaten über drei Monate und die zweite Gruppe jeden zweiten Tag ab dem Alter von drei Tagen bis zum Ende des ersten Lebensmonates. Er protokollierte alle Fälle, in denen die Jungen den Vater oder die Mutter anbettelten und die Nahrungsaufnahme durch die Kinder oder die Erwachsenen. Dabei hielt er auch die Orte fest, an denen entsprechendes Verhalten zu beobachten war.
Fütterten die Älteren aktiv jüngere Gruppenmitglieder, wäre eine spezielle Armbewegung zu dem zu fütternden Individuum zu erwarten. Jedoch war kein Unterschied in der Position der Arme und Hände zu erkennen, unabhängig davon ob die Tiere selber Nahrung zu sich nahmen oder vermeintlich fütterten, Callithrix jacchus halten die Arme stes relativ weit weg vom Körper. Vor der sogenannten Fütterung konnte zudem keine spezielle Vokalisation der erwachsenen Individuen festgestellt werden, offensichtlich rufen sie nicht ihre Kinder herbei. Diese hingegen vokalisieren charakteristisch, wenn sie die Erwachsenen erreicht haben, auf diesen herumklettern oder nach Futter greifen. Festzuhalten ist, in keinem Fall wurden die Kinder von den Erwachsenenen aktiv aufgesucht, stets folgten die Kinder ihren Eltern. Bemerkenswert ist auch noch, dass die erste Aufnahme fester Nahrung am 23. Lebenstag beobachtet werden konnte. Ohne irgendwelche Unterstützung nahmen die Kinder die Nahrung direkt am Futterplatz auf. In dieser Zeit erhielten sie in keinster Weise Futter durch andere Gruppenmitglieder. An den Tagen zuvor gingen sie bereits mehrfach zur Futterstelle und nahmen Nahrungsstücke in die Hand. Die Jungen beginnen also von sich aus, feste Nahrung zu sich zu nehmen, das Stehlen der Nahrung dagegen konnte erst später im Leben mit zunehmender Selbständigkeit und höherer lokomotorischer Aktivität beobachtet werden. Die Jungen lernen das Aufnehmen fester Nahrung sicherlich nicht mit Hilfe und durch andere Gruppenmitglieder.



Abbildung 6.14: Callithrix jacchus, Universität Kassel


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Neben den nordostbrasilianischen Formen gibt es zahlreiche weitere Vertreter des Genus Callithrix, exemplarisch möchte ich hier noch drei Arten vorstellen. Den Gelbkopfbüschelaffen Callithrix flaviceps durfte ich selber in der Nähe von Belo Horizonte gemeinsam mit Studenten im Freiland beobachten. Von Hershkovitz ([78]) wird er ebenso wie der Gelbohrbüschelaffe Callithrix aurita als Unterart von Callithrix jacchus beschrieben. Darüber hinaus stelle ich eine der Amazonas-Formen, den Weißschulterseidenaffen Callithrix humeralifer vor. Dieser wird - wie auch die anderen Callithrix-Arten der Amazonas-Region von Mittermeier et al. 2013 ([141]) auf Genusniveau als Mico von den Callithrix-Formen abgegrenzt. Folgt man dieser Auffassung wäre der richtige Name Mico humeralifer.


Abbildung 6.15: Gelbkopfbüschelaffe Callithrix flaviceps, Rio de Janeiro Primatenzentrum




Abbildung 6.16: Gelbohrbüschelaffe Callithrix aurita, Rio de Janeiro Primatenzentrum




Abbildung 6.17: Weißschulterseidenaffe Callithrix humeralifer, Rio de Janeiro Primatenzentrum




Abbildung 6.18: Zwergseidenaffe Cebuella pygmaea, Zoo Frankfurt


Wie bereits zu Beginn des Kapitels erwähnt, sind auch die kleinsten Affen der Neuen Welt, die Zwerseidenaffen Cebuella pygmaea, nahe Verwandte von Callithrix (bzw. auch Mico). Gemeinsam werden sie als Marmosetten den Tamarinen (siehe Kapitel 7) gegenübergestellt.



Abbildung 6.19: Zwergseidenaffe Cebuella pygmaea, Vivarium Oslo


1Neben der Familienbezeichnung Callitrichidae findet sich im Schrifttum auch die Bezeichnung Callithricidae. Diese Ableitung von dem Genusnamen Callithrix ist aber falsch, da die Familiennamen von der Genitivform abzuleiten ist und die Genitivform des griechischen Thrix richtig Trichos ist.

2Sie handeln also im Freiland nicht „nach Plan“, vielmehr haben sie dieses Verhalten offensichtlich von ihren Ahnen geerbt und wenden es ziellos an.

3Ich zitiere hier sein Standardwerk, seine Ansichten hat er bereits früher in zahlreichen Beiträgen publiziert.

4Die Krallenaffen der Kasseler Universität erhielten in der Regel keinen Namen wie die übrigen Primaten, sie wurden vielmehr in der Reihenfolge der Ankunft in Kassel nummeriert. Weißbüschelaffen Callithrix jacchus jacchus erhielten zusätzlich ein „C“, Schwarzpinselaffen Callithrix jacchus penicillata ein „P“, Hybride zwischen diesen Unterarten ein „PC“. Vor diesen Namen gebe ich in der Regel das Geschlecht (m = männlich, f = weiblich) an.

5fC72 verlor aus nicht nachvollziehbaren Gründen die Pigmentierung und wurde weißhaarig. Wir hielten dieses Weibchen separat. Nämliches galt für das verwitwete Männchen mP1, eine Verpaarung war nicht geplant. Doch mussten wir mehrfach und regelmäßig feststellen, dass es mP1 gelang, seinen Käfig zu verlassen, Stets rannte und sprang dieses Männchen sofort zu fC72 und warb um diese. Am 15. Juli 1981 gaben wir schließlich nach und verpaarten die beiden.

6Wanduch, M.: Zum nichtreproduktiven Verhalten von Callithrix j. jacchus und Callithrix p. penicillata. Wissenschaftliche Hausarbeit, Fuldatal, 11. April 1978.

7Diese Untersuchung erbrachte: „1. Während der Aktivitätszeit sind bei den Häufigkeitskurven zur lokomotorischen Aktivität beider Species drei Maxima erkennbar. 2. Die Bewegungsweise Springen war die am häufigsten angewandte Bewegungsweise. Die Präferenz bestimmter Bewegungsweisen ist offenbar abhängig von Größe und Inventar des Käfigs. 3. Die nichtlokomotorischen Verhaltensweisen sind gleichmäßig über den Tag verteilt, eine Beziehung zur lokomotorischen Aktivität wird deutlich. 4. Bei dem Markieren sind die Weibchen aktiver als die Männchen, direkt nach dem Käfigwechsel jedoch die Männchen aktiver als die Weibchen. 5. Bei der gegenseitigen sozialen Körperpflege sind die Männchen vornehmlich aktive und die Weibchen passive Partner. 6. Ein Käfigwechsel hat bedingt durch Änderungen beim Inventar und bedingt durch benachbart gehaltene Individuen einer anderen Species Einfluss auf die Höhe der protokollierten Verhaltensweisen; an der grundsätzlichen Verteilung über die Aktivitätszeit ändert sich nichts.“ (Wanduch, Seite 51).

8Auch Willi Hennig [74] relativierte das Problem der unkorrekten Unterartenzuordnung: „There are, however, practically no rules for differentiating subspecies. First of all, the extent of the differences between subspecies varies to such a degree that it is almost completely worthless in deciding whether two forms that differ in particular way must be considered subspecies of a single species or as members of different species or even genera“([74], Seite 54).

9In Paris paarten sich zwei dieser Aeffchen ... und das Weibchen warf ... drei sehende Junge, ein männliches und zwei weibliche. Die jungen Thierchen waren mit sehr kurzen, graulichen Haaren bekleidet, als sie zur Welt kamen. Sie hefteten sich sogleich an die Mutter und versteckten sich in deren Haare. Aber ehe sie zu saugen begannen, biß die Alte einem von ihnen den Kopf ab und fraß denselben. Nachdem aber die beiden anderen sich angesaugt hatten, nahm sie sich ihrer an, und der Vater that dasselbe. Wenn der Mutter nämlich die Jungen zu schwer wurden, streifte sie dieselben an einer Wand ab, und dann ließ sie das Männchen sogleich auf seinen Rücken klettern. Auch kam es vor, daß sie sich ihrem Herrn Gemahl mit kläglichen Tönen näherte, als wolle sie ihn bitten, ihr ihre Last zu erleichtern, und auch dann zeigte sich das Männchen stets willfährig. Er trug, wie sein Weibchen, die Jungen entweder auf dem Rücken oder unter dem Leibe und behielt sie so lange bei sich, bis die Kleinen saugen wollten; dann gab es dieselben der Mutter zurück ( [12], Seite 127).

10Röber, J.: Trageverhalten, Entwicklung der Jungtiere und Verhalten bei Erstbegegnung, ein Beitrag zum Sozialverhalten des Weißbücheläffchens, Callithrix jacchus jacchus Erxleben 1777. Wissenschaftliche Hausarbeit zur Ersten Staatsprüfung für das Lehramt für die Mittelstufe und die Oberstufe. Kassel, 14. September 1978.

11Wir definierten die Trageleistung der Gruppe als die „Arbeit“, die die Gruppe zu erbringen hat, um das oder die Jungen zu tragen. Bei Einlingsgeburten ist diese Trageleistung identisch mit der Tragehäufigkeit. Bei Zwillingsgeburten leistet das Individuum, das beide Zwillinge trägt den doppelten Anteil an der Arbeit, verglichen mit einem Gruppenmitglied, das nur einen der Zwillinge trägt.

12Die Aussagen beruhen auf Mittelwerten, es gibt tatsächlich auch Gruppen, bei denen der Vater am Tragen kaum beteiligt ist. Schroer berichtet detailliert die Befunde von vierzehn Sozialgruppen, danach können auch die Mutter oder Geschwister Haupttragtier sein. Dabei muss aber auch beachtet werden, dass diese „Geschwister“ teilweise tatsächliche oder spätere Väter in diesen Familiengruppen waren, bedingt durch das noch zu erwähnende gleichzeitige Verpaaren von Vater und Sohn mit einem neuen Weibchen (s. u.).

13Schroer, P.: Zum Anteil des Vaters, der Mutter bzw. anderer Gruppenmitglieder am Tragen der Jungen bei basalen südamerikanischen Primaten. Wissenschaftliche Hausarbeit zur ersten Staatsprüfung für das Lehramt für die Mittelstufe und die Oberstufe. Kassel, 24. April 1984.

14Zur Trageleistung der Geschwister führt Röber aus: „Es fällt auf, dass sich Jungtiere im Alter von 10 - 17 Monaten besonders stark am Tragen der Neonaten beteiligen ... Vermutlich besitzen für adulte Familienmitglieder, die schon mehrere Geburten in der Familie miterlebt haben, die Neonaten eine nicht mehr so hohe Attraktivität. Deshalb beteiligen sich wohl diese Tiere weniger am Tragen als die subadulten Tiere, welche zudem unserer Beobachtung nach noch nicht in Konkurrenzkämpfe innerhalb der Gruppe verwickelt sind, sondern einen relativ gesicherten und unangetasteten Status besitzen. Mit Eintritt in das Erwachsenenalter kann es zwischen gleichaltrigen Tieren zu agonistischen Auseinandersetzungen kommen, die die Tiere so in Anspruch nehmen, dass die Beschäftigung mit den Neonaten fast völlig oder vollkommen aussetzt“ (Röber, Seite 125). Darüber hinaus bemerkt sie: „Die geringe Trageleistung der halbjährigen und juvenilen Tiere kann unserer Meinung nach dadurch erklärt werden, dass ein längeres Tragen der Neonaten für die noch nicht ausgewachsenen Jungtiere zu beschwerlich ist und sie in ihrem starken Bewegungsdrang zu sehr einschränkt, wenngleich in den ersten Lebenstagen eine sehr große Neugier seitens der jüngeren Geschwister an den Neonaten zu beobachten ist“ (Röber, Seite 126).

15„... it is suggested that breeders be kept as permanent pairs and housed in cages that do not permit bodily contact between neighboring pairs“ [48], Seite 59.

16Verdrängte Individuen können zwar problemlos mit einem andersgeschlechtlichen Individuum verpaart werden, doch nimmt mit jeder Verdrängung das Platzproblem des Halters zu.

17Wie bereis betont kommt der hinreichenden Vitaminisierung hohe Bedeutung zu: „The animals are fed three times a day. In the morning they get a mixture of ‚Milupa - Reisflocken‘ ‚Milupa - Heilnahrung‘ (7g/animal) with ‚Phoscal‘ (1/60 teaspoon/animal), vitamines: D3 („Vigantol‘ 1/2 drop/animal), multivitamine (‚Multibionta ‘ 1/2 drop/animal), B (‚BVK‘ 1/5 drop/animal) and cod-liver oil (‚Sanostol‘ 1/60 tablespoon/animal). In the early afternoon they get different fruit and vegetable (each day bananas, carrots, apples and potatoes) and in the evening they get additionally to this diet pellets produced for marmosets by Prof. Zucker of Munich University.“ (Seite 41, [245])

18Das Katzbuckellaufen ist charakteristisch für Marmosetten, hierzu führt Gisela Epple [47] aus: „Die Kopulation wird gelegentlich ... von einem Paarungsvorspiel eingeleitet: (Männchen und Weibchen) laufen mit gewölbtem Rücken, geplustertem Fell und gestreckten Extremitäten ohne Hast einige Meter hintereinander her. Dieser demonstrative ‚Katzbuckel‘ ... stellt ein ungerichtetes Imponieren dar, das überwiegend ohne Zusammenhang mit sexueller Aktivität als soziales Signal auftritt.“ ( [47], Seite 41)

19Die Tiere „reiben die mit Duftdrüsen dicht besetzten Genitalien an der Unterlage. Hierbei hinterlassen sie neben talgigem, stark duftendem Drüsensekret meist einige Tropfen Urin ([47], Seite 41 - 42). Das Markieren wurde bereits von Ludwig Zukowsky 1939 kontextrichtig im Zusammenhang mit der Paarung beschrieben, nur falsch gedeutet: „Nach erfolgtem Akt ist ein Rutschen des Weibchens auf Ästen beobachtet worden, das aber auch außerhalb der Paarungszeit bei bestimmten Tieren erfolgt und in diesem Fall wohl als Onanie zu deuten ist.“ (Seite 101, [307])

20Gisela Epple beschrieb die Annäherung: „Darauf nähert es sich dem (Weibchen) unter rhythmisch schmatzenden Kaubewegungen. Die Zunge kann im gleichen Rhythmus zwischen den Lippen erscheinen. Mit diesem ‚Lippenschmatzen‘ wechselt ein ‚Züngeln‘ ab, bei dem die Hälfte bis ein Drittel der Zunge mehrmals rhythmisch aus dem Mund gestreckt wird. Ist das (Weibchen) sehr paarungswillig, so hockt es in der Paarungsstellung auf der Unterlage, fixiert das (Männchen) und züngelt. Lippenschmatzen wurde bei (Weibchen) nicht beobachtet ([47], Seite 42).

21Zitat Johanna Röber

22Da bei Drillingsgeburten in keinem Fall mehr als zwei Individuen überlebten, wurden 41 Individuen bei den Analysen nicht berücksichtigt. Auch handaufgezogene Individuen wurden nur als tote Individuen gezählt.

23In Menschenobhut wird die Todesursache in der Regel der Alterstod sein, unter Freilandbedingungen hingegen ist der Predationsdruck wahrscheinlicher. Eine Schlange oder ein Greifvogel achtet nicht darauf, ob das ausgewählte Individuum möglicherweise Zuchtmännchen oder Zuchtweibchen einer Familiengruppe ist.

24Erst bei der Ermittlung dieser Daten ist mir aufgefallen, dass wir mC24 nach der Separation mit seiner Tochter fC84 verpaart haben. Gemeinsam zogen Vater und Tochter das am 17. November 1982 geborene Jungtier (und in den folgenden Monaten weitere Jungtiere) auf. Nach der monatelangen Trennung hatten mC24 und fC84 keine Probleme bei der Paarbildung. Auch uns waren die Familienbeziehungen wohl nicht mehr bewusst.

25Dyade = Zweierbeziehung

26„Young animals (starting at about 3 months of age) are kept in large gang cages (about 1.35 x 1.35 x 2.05 m), until they have reached maturity. In a gang cage about 25 to 35 male and female animals are kept together. Although copulation takes place, no pregnancies occur under these conditions“ Heger und Neubert ([70]), Seite 54. Hiddleston ([84]) berichtet sogar, dass er 60 Weißbüschelaffen bis zur Geschlechtsreife in einer Gruppe hält.

27Mein unangenehmstes Erlebnis war dabei 1976 ein Schwangerschaftskurs, den meine Frau vor der Geburt unseres Sohnes Armin besuchte. Ich begleitete sie mit einem Weißbüschelaffen unter dem Hemd. Die Kursleiterin hatte gerade ausgeführt, wie gefährlich Tiere für die Schwangere und das ungeborene Leben seien, als mein kleiner Weißbüschelaffe begann herumzuklettern. Nur mit Mühe und schweissgebadet gelang es mir, das Sichtbarwerden zu verhindern. Freilich war der kleine Weißbüschelaffe ebenfalls schweissgetränkt.

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